Psychische Gewalt

Häusliche Gewalt wird vor allem mit blauen Flecken und körperlicher Gewalt assoziiert. Im sozialen Nahraum beginnt die Gewalt jedoch selten mit physischen Übergriffen. Vor den ersten Schlägen sind die Betroffenen meist schon über Monate oder sogar Jahre hinweg psychischer Gewalt ausgesetzt.

Psychische Gewalt erkennen

Betroffenen ist häufig nicht bewusst, dass das Erlebte als Gewalt zu bewerten ist. Dazu tragen vor allem gängige Vorstellungen über Gewalt und mangelnde gesellschaftliche Aufklärung bei. Auch bei Bekannten oder in der Familie bleibt psychische Gewalt daher oft lange unbemerkt.

Zudem verhalten sich viele Tatpersonen äußerst manipulativ und geschickt: Sie pflegen nach außen ein betont freundliches, zugewandtes Auftreten, um gegenteilige Behauptungen der Betroffenen unglaubwürdig erscheinen zu lassen. Wenn Betroffene jedoch Angst haben, dass ihnen Menschen in ihrem Umfeld nicht glauben, ziehen sie sich oft zurück. Dadurch wird die Macht der Tatperson zusätzlich gestärkt.

Zwangskontrolle (Coercive Control)

Übermäßige oder zwanghafte Kontrolle ist ein zentraler Bestandteil von häuslicher Gewalt. In Großbritannien wird die sogenannte Zwangskontrolle („Coercive Control“) als Form der häuslichen Gewalt anerkannt und stellt eine Straftat dar. In Deutschland ist das Phänomen dagegen noch wenig bekannt. Die britische Frauenrechtsorganisation „Women‘s Aid“ definiert Coercive Control wie folgt:

„Zwangskontrolle ist eine Handlung oder ein Handlungsmuster aus Beschuldigungen, Bedrohung, Demütigung und Einschüchterung o.ä., die eingesetzt werden, um das Opfer zu verletzen, zu bestrafen oder ihm Angst zu machen.Dieses kontrollierende Verhalten bezweckt, eine andere Person abhängig zu machen, indem sie von Unterstützung isoliert, ausgebeutet, ihrer Unabhängigkeit beraubt und in ihrem alltäglichen Leben reguliert wird.“

Formen von psychischer Gewalt und Coercive Control

Dazu zählen unter anderem:

  • Isolation der Betroffenen von Freund*innen, Familie und anderen Sozialkontakten, z.B. durch Verbreiten von Lügen über nahestehende Personen, Schaffen räumlicher Distanz, Bestehen auf ein gemeinsam genutztes Telefon etc.
  • Kontrolle von Aspekten des täglichen Lebens, z.B. wo die Person hingehen oder wen sie treffen darf, welche Kleidung sie tragen sollte, wann sie schlafen darf usw.
  • Kontrolle über grundlegende Bedürfnisse, z.B. Essensentzug oder Reglementierung der Essenszeiten
  • Überwachung von Zeiteinteilung und Aktivitäten, im Extremfall durch Spyware und Überwachungskameras
  • Überwachung der Kommunikation mittels Spyware und digitaler Werkzeuge
  • Verwehren von Unterstützung, z.B. ärztlicher Hilfe
  • Kontrolle des Sexuallebens
  • Wiederholte Herabwertung, z.B. Bezeichnung als wertlos, Beleidigungen, Demütigung oder Entmenschlichung der Betroffenen
  • Kontrolle über Finanzen, z.B. Zuteilung eines Budgets, Verheimlichen der finanziellen Lage, Verweigern einer eigenen Kreditkarte oder eines eigenen Kontos
  • Einfordern traditioneller Geschlechterrollen, z.B. der Frau als Hausfrau und Mutter
  • Instrumentalisieren der Kinder gegen die Mutter
  • Drohungen und Einschüchterungen
  • Gaslighting: Die Tatperson manipuliert und verunsichert die Realitätswahrnehmung und damit das Selbstbewusstsein der Betroffenen gezielt. So werden beispielsweise Kleinigkeiten in der Wohnung heimlich verändert, Geschehnisse geleugnet, andere Begebenheiten erfunden oder Empfindungen bzw. Wahrnehmungen der betroffenen Frau als unberechtigt oder unqualifiziert kleingeredet.

Oft wenden Tatpersonen verschiedene Formen der psychischen Gewalt simultan und strategisch an, um die Betroffenen zu zermürben.

Folgen der Gewalt

Psychische Gewalt und Coercive Control hinterlassen weniger sichtbare Spuren als physische Gewalt, sind aber nicht minder schwerwiegend. Die Betroffenen geraten in Abhängigkeit, werden fremdbestimmt in ihrer Wahrnehmung und ihrem Verhalten ‒ eine tagtägliche Belastung.

Mit wachsender Isolation dringen kritische oder solidarische Reaktionen immer seltener zu der betroffenen Person durch. Doch ohne Unterstützung von außen wird es für sie immer schwerer, aus der Gewaltsituation auszubrechen oder Hilfe zu suchen.

Nach Jahren psychischer Manipulation sind Selbstwertgefühl und Widerstandsfähigkeit der Betroffenen häufig stark geschwächt. Sie fühlen sich kraftlos und unsicher. Diese psychische Situation bildet den Nährboden für körperliche Gewalt – denn sie verhindert, dass Betroffene sich schnell und selbstbewusst zur Wehr setzen.


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