Anfänge des Hilfesystems

Die Geschichte der Frauenhäuser in Deutschland reicht in die zweite Hälfte der 1970er Jahre zurück. Wir haben einige unserer Mitgliedsorganisationen gebeten, über die Entstehung ihrer Einrichtung zu berichten.


Bereichsleiterin Frauenhäuser Saarland, AWO, 2018

„Im Jahr 1979 wurde in Trägerschaft der Arbeiterwohlfahrt (AWO) Landesverband Saarland der erste Zufluchtsort für Frauen und Kinder in Saarbrücken gegründet. Dabei war die AWO als Trägerin durchaus umstritten: Die Forderung der Akteurinnen bezog sich ursprünglich auf ein autonomes Frauenhaus. Der damalige Sozialdezernent sah dies aber anders und gab der AWO den Zuschlag, da er sich über die Trägerschaft eine größere Stabilität versprach.

Es folgte 1986 das Haus in Saarlouis und 1989 in Neunkirchen. Insgesamt werden in den drei Frauenhäusern bis heute 55 Plätze für von Gewalt in engen sozialen Beziehungen betroffenen Frauen und Kinder vorgehalten. Die aktiven Frauen, die maßgeblich an der Gründung der Frauenhäuser Saarlouis und Neunkirchen beteiligt gewesen waren, gründeten jeweils Fördervereine, die die Arbeit an den beiden Standorten bis heute unterstützen und begleiten. Die AWO ist damit seit nunmehr fast 40 Jahren Trägerin der Frauenhausarbeit im Saarland.

Heute ist das Hilfesystem Frauenhaus unumstritten und stellt sich auf dem Hintergrund gesellschaftlicher Veränderungsprozesse immer wieder neuen und aktuellen Fragen und Bedarfen. In den Gründungsjahren musste der Hilfeansatz noch ganz anders erkämpft und verteidigt werden: Braucht man Frauenhäuser überhaupt? Gibt es in unserem kleinen Saarland Gewalt gegen Frauen? Mit diesen Fragen wurden die damaligen Initiatorinnen innerhalb wie außerhalb der AWO konfrontiert.

Diese haben sich in ihrer Arbeit nie auf die Funktion, Zufluchtsstätte‘ für misshandelte Frauen und ihre Kinder zu sein, reduzieren lassen, sondern haben von Anfang an umfassende, soziale und rechtliche Veränderungen im Umgang mit diesem gesellschaftspolitischen Problem gefordert. Gestern wie heute engagieren wir uns am Runden Tisch Saarland gegen häusliche Gewalt sowie in verschiedenen Gremien und Arbeitskreisen und gestalten unterschiedliche Öffentlichkeitsaktionen.“


Stimme aus einem Frauenhaus des Sozialdienstes katholischer Frauen in NRW, 2017:

„Mitte der 1970er Jahre hat die autonome Frauenbewegung die Einrichtung eines Frauenschutzhauses vor männlicher Gewalt stark politisch befeuert. Der CDU-Stadtrat, der häusliche Gewalt in der gut situierten Stadt für nicht vorstellbar hielt, musste schließlich der massiven Forderung nachgegeben, ein Frauenhaus zu fördern. Allerdings unterstützte er nicht die autonomen Frauen, sondern fragte uns als bekannten katholischen Träger der Frauensozialarbeit an.

Die Frauen der autonomen Frauenbewegung waren engagierte Vorkämpferinnen und haben viel Gegenwind aushalten müssen. Sie waren ärgerlich, dass wir ─ aus ihrer Sicht die alten, vertrockneten katholischen Jungfern‘ ─ für die Einrichtung des Frauenhauses öffentliche Mittel bekamen. Letztlich konnten wir 1981 ein Frauenhaus eröffnen, das aus unserem bestehenden Haus für schutzbedürftige und obdachlose Frauen und Kinder hervorging. Schon am Eröffnungstag haben wir die erste Frau mit zwei Kindern aufgenommen.“


Eine Beraterin von der Diakonischen Bezirksstelle zur Eröffnung des Frauen- und Kinderschutzhauses, Dezember 1984:

„Endlich müssen wir Frauen, die in die Beratungsstelle kommen und uns von der Gewalt des Partners berichten, nicht mehr nach Hause schicken, sondern können ihnen einen sicheren Ort anbieten.“


Stimme aus einem Frauenhaus des Sozialdienstes katholischer Frauen in Bayern:

„Anfang der 1980er Jahre gab es in unserer Stadt ein starkes politisches Engagement von Soroptimisten für Frauen und die nahmen über ihre Ehemänner Einfluss auf unsere Lokalpolitik. Da wir als Frauenverband Erfahrung mit einer Mutter-Kind-Einrichtung und in der Arbeit mit psychisch kranken Frauen hatten, bot uns der Oberbürgermeister schließlich eine große Wohnung für misshandelte Frauen an. Das war der Start für das spätere Frauenhaus.

Wir hatten uns schon mit einer Konzeption und einem Kostenplan für ein Frauenhaus für gewaltbetroffene Frauen befasst. Allerdings gab es damals kaum fachliche Orientierung. Zum Glück gelang es einer engagierten Ministerialrätin, verbandlich und autonom organisierte Frauen zusammenzubringen und in die Arbeit an den Richtlinien einzubeziehen. Unsere Zusammenarbeit mit den autonomen Frauen(häusern) war daher immer gut.

Unser Frauenhaus eröffneten wir 1986 und waren sofort belegt. Vor allem für Frauen aus den umliegenden Dörfern war es sehr schwer und schambesetzt, ins Frauenhaus zu gehen. Gesellschaftliche und familiäre Diskriminierungen waren weit verbreitet: Die hat es nicht geschafft, ihrem Mann ein gemütliches Heim zu schaffen.‘Jeder hat sein Kreuz zu tragen.‘ Der Hof geht den Bach runter, wenn sie nicht mehr mitarbeitet.‘ Die Frauen konnten meist nicht in ihr Dorf zurückgehen und empfanden die Wohnungssuche als beschämend, obwohl die Männer sich hätten schämen sollen!

Die ersten Jahre waren wir politisch sehr aktiv, um das Thema Gewalt gegen Frauen in die Öffentlichkeit zu bringen. Politik und Kirche begegneten uns äußerst skeptisch. Als katholischer Frauenverband mussten wir dafür kämpfen, Unterstützung für unser Engagement gegen Gewalt in der Ehe zu bekommen.“


Stimme aus einem autonomen Frauenhaus, Mitglied beim Paritätischen Landesverband Bayern 2017

„Als ich vor fast 40 Jahren als Studentin mit anderen frauenbewegten Frauen das erste Würzburger Frauenhaus gründete, glaubte ich, es sei ausreichend, den misshandelten Frauen Schutz zu bieten, ihnen dabei behilflich zu sein, Sozialleistungen zu bekommen und kompetente Rechtsanwältinnen zu finden. Befreit von der Gewalt durch ihren Ehemann und bestärkt durch die Gemeinschaft mit anderen Frauen, die Ähnliches erleiden mussten, würden sie den Weg in ein Leben ohne Gewalt gehen. Das sind nach wie vor wichtige Rahmenbedingungen für ein Frauenhaus.

Wenig später war ich die erste und anfangs einzige hauptamtliche Mitarbeiterin im Frauenhaus Schweinfurt. Eine bedrohte und misshandelte Frau brauchte damals noch mehr Mut, mit ihren Kindern den Schritt in ein gesellschaftlich geächtetes Frauenhaus zu wagen.

Ich war nicht darauf vorbereitet, dass die Gewalterfahrungen, ohne Hoffnung auf einen Ausweg, so tiefe Spuren bei den Frauen hinterlassen hatten. Viele waren psychisch stark belastet, manche medikamenten- und alkoholabhängig, alle hatten körperliche Beschwerden. Ich begriff schnell, dass die Frauen, die jahrelang Gewalt durch ihre Partner erdulden mussten, mehr als nur ein Dach über den Kopf brauchten. Nicht zu Unrecht befürchteten wir, die Frauen würden zusätzlich stigmatisiert und damit im Ringen um die elterliche Sorge für die ebenfalls belasteten Kinder chancenlos.

Für die Arbeit mit den ins Frauenhaus geflüchteten Frauen und Kindern gab es keine Vorbilder. Die damalige soziale Arbeit schien uns nicht geeignet. Umso wichtiger war der regelmäßige Austausch mit den Kolleginnen aus anderen Frauenhäusern, die neben der Unterstützung der Frauen und Kinder darum kämpfen mussten, als Träger eines Frauenhauses akzeptiert und finanziell gefördert zu werden. Das Paritätische Bildungswerk organisierte die ersten Fortbildungen, die auf die offenen Fragen der Frauenhauspraxis Bezug nahmen, das war der Ursprung von Frauenhauskoordinierung.

Heute fehlt es kaum mehr an Verständnis für den großen Unterstützungsbedarf gewaltbetroffener Frauen und ihrer Kinder, die immer die Gewalt gegen ihre Mutter miterlebt haben. Aber was folgt daraus?

Es ist seit Jahren bekannt, dass genauso viele Frauen wegen fehlender Plätze abgewiesen müssen wie aufgenommen werden können. Den Frauen und Kindern, die einen Platz ergattern, kann trotz des großen Engagements der Mitarbeiterinnen oft nicht die Hilfe zuteilwerden, die erforderlich wäre.“


Stimme aus der Landesintervention und -koordination bei häuslicher Gewalt und Stalking, Der PARITÄTISCHE Sachsen-Anhalt, 2017

„Für die Gründung der Frauenhäuser in Sachsen-Anhalt nach der Wende gab es nicht die Initiative oder das Ereignis. Der Aufbau von Frauenhausarbeit und Opferschutz war eher ein Ergebnis des Engagements für Frauenrechte. Nach der Wende schlossen sich vielerorts engagierte Frauen im Land zusammen, um Frauentreffs oder Frauenzentren zu gründen. Sie wollten einen offenen Austausch in Frauengruppen organisieren, sich für Frauenrechte stark machen. In diesem Zusammenhang wurden sie mit dem bis dahin tabuisierten Thema Gewalt gegen Frauen konfrontiert und mobilisierten zahlreiche Unterstützende in den Kommunen und Städten, um ganz schnell geschützte Räume für von Gewalt betroffene Frauen einzurichten.

Die ersten Schutzeinrichtungen für von Gewalt betroffene Frauen eröffneten 1991. Ein Jahr später gründete sich die Landesarbeitsgemeinschaft der Frauenhäuser Sachsen-Anhalt als Zusammenschluss aller Frauenhäuser des Landes, unabhängig von der jeweiligen Trägerschaft. Heute gibt es in Sachsen-Anhalt 19 Frauenschutzhäuser.

Veröffentlichung von 1979 in der Verbandszeitschrift „parität Aktuell“:


Stimme aus einer Interventionsstelle gegen häusliche Gewalt und Stalking Mecklenburg-Vorpommern, 2017:

„Im Oktober 2001 nahmen die fünf Interventionsstellen in Mecklenburg-Vorpommern ihre Arbeit auf. Für ihre Einrichtung hatten sich das interdisziplinäre Interventionsprojekt gegen häusliche Gewalt CORA, Landtagsabgeordnete und die Staatssekretärin für Frauen und Gleichstellung der Landesregierung MV eingesetzt. Die Interventionsstellen wurden als Bindeglied zwischen den polizeirechtlichen und den zivilrechtlichen Schutzmöglichkeiten installiert. So konnte die Zusammenarbeit  zwischen den beteiligten Stellen bei der Bekämpfung von häuslicher Gewalt wirkungsvoll verbessert werden.

Interventionsstellen zeichnen sich dadurch aus, dass sie proaktiv Kontakt aufnehmen, die Hilfesuchenden vor Ort aufsuchen und beraten. Die Rückmeldungen von Klient_innen bestätigen, dass die Interventionsstellen damit sehr erfolgreich arbeiten und die Beratung gerne in Anspruch genommen wird:

‚Mir war die Beratungsmöglichkeit völlig unbekannt. Hätte ich früher davon erfahren, wäre mir viel erspart geblieben.‘

‚Durch die Beratung habe ich es geschafft, mich zu trennen. Vielen Dank.‘

‚Ich bin begeistert und so froh, dass es sie gibt. Man weiß ja sonst gar nicht, was man alles machen kann. Und ich habe das Gefühl, jemand versteht mich und ich bin nicht allein.‘

Zitate aus: Wissenschaftliche Begleitung der Interventionsstellen 2001-2003, Uni Osnabrück Kavemann/Brandfass