Das Gewalthilfegesetz – Flächendeckende Angebote für Schutz und Beratung!?

Gesetzesvorhaben zum Gewaltschutz – EU-rechtliche Vorgaben

Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) hat nach einem Eckpunktepapier (November 2023) nun einen Diskussionsentwurf zu einem „Gesetz zur Sicherung des Zugangs zu Schutz und Beratung bei geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt“ erstellt. Dieser Entwurf liegt nur den Bundesländern und Kommunen sowie den beteiligten Ministerien auf Bundesebene vor. Deshalb ist es nur bedingt möglich, Inhalte zu beleuchten und Einschätzungen abzugeben.

Kernelement des Gesetzes soll die bundesweite Sicherstellung des Rechts auf Schutz und Beratung bei geschlechtsspezifischer Gewalt sowie bei häuslicher Gewalt sein. Unter Bezugnahme auf die Istanbul-Konvention soll der Schutz von Frauen betont werden. Prävention, Täterarbeit und Öffentlichkeitsarbeit werden ebenfalls als wichtiger Bestandteil des Gewaltschutzes gesehen, allerdings nicht mit entsprechenden Maßnahmen und Finanzierungen unterlegt. Die im Mai 2024 verabschiedete EU-Gewaltschutzrichtlinie verlangt nun auch, dass Schutzunterkünfte „in ausreichender Zahl bereitgestellt (werden) und […] leicht zugänglich“ sind. Die Bundesregierung selbst hat sich in ihrem Koalitionsvertrag dazu bekannt, „das Recht auf Schutz vor Gewalt für jede Frau und ihre Kinder absichern und einen bundeseinheitlichen Rechtsrahmen für eine verlässliche Finanzierung von Frauenhäusern sicherzustellen.“ Dazu soll das Hilfesystem entsprechend bedarfsgerecht ausgebaut werden unter Beteiligung des Bundes an der Regelfinanzierung.

 

Die Finanzierung des Hilfesystems braucht eine rechtliche Grundlage

Richtungsweisend wird dabei die Formulierung eines Rechtsanspruchs auf Schutz und fachliche Beratung sein. Vorbereitend soll es Bestands- und Bedarfsanalysen geben. Angebote sollen Qualitätsanforderungen und Standards folgen. Die niedrigschwellige Versorgung der Betroffenen mit Schutz und Beratung unabhängig von ihrem Einkommen, ihrer Herkunft, ihrem Wohnort oder eventuellen Beeinträchtigungen soll gesichert werden. Das Hilfesystem soll auskömmlich und einheitlich finanziert sein, ein Frauenhausaufenthalt und Beratung muss für die Betroffenen kostenlos sein. Spezifische Beratungsangebote sollen flächendeckend vorgehalten werden.

 

Bundesgesetzliche Regelung – warum das nicht so einfach ist

Die Finanzierung von staatlichen Leistungen ist grundsätzlich Ländersache und Aufgabe der Kommunen. Dies ergibt sich aus dem Grundgesetz unter dem Stichwort Daseinsfürsorge. Der Bund kann jedoch ausnahmsweise zur Herstellung einheitlicher Lebensverhältnisse zuständig sein. Da der Schutz oft länderübergreifend nötig und die Versorgung aktuell extrem unterschiedlich sind, ist eine bundesgesetzliche Regelung gerechtfertigt.

Für das Gewalthilfegesetz wird es allerdings nach jetzigem Stand so sein, dass der Bund zwar einen Rechtsanspruch durch Bundesgesetz regeln will, die Ausgestaltung der dazugehörigen Infrastruktur und Finanzierung aber weiterhin den Ländern (und Kommunen) überlassen bleibt. Insoweit besteht die Sorge, dass Vieles so bleibt wie bisher. Die früher im Grundgesetz vorgesehene Rahmengesetzgebungskompetenz, nach der der Bund einen bestimmten Rahmen gesetzlich vorgeben konnte, den die Bundesländer ausfüllen mussten, gibt es nach einem Bundesverfassungsgerichtsurteil1 nicht mehr (siehe Art. 75 GG).

Hinsichtlich des Gesetzgebungsverfahrens handelt es sich um ein zustimmungsbedürftiges Gesetz. Das bedeutet, dass der Bundesrat, also die Ländervertretung, dem Gesetz zustimmen muss. Denn die Länder sind von dem Gesetz insoweit betroffen, als sie die Pflichten ausführen müssen und die Verteilung der Steuern die Belange der Länder berühren.

 

Wie gestaltet sich die Finanzierung?

Die Finanzierung der Gewaltschutzeinrichtungen unterliegt derzeit einem Mix aus öffentlicher Zuwendung durch die Bundesländer, gefolgt von den Kommunen und an dritter Stelle durch Eigenmittel, also unter anderem eingenommene Spenden und Zahlbeträge der gewaltbetroffenen Frauen. Der Bund beteiligt sich mittelbar durch die Begleichung der Sozialleistungsansprüche der Bewohner*innen.

Durch das Gewalthilfegesetz ist den Verlautbarungen nach ein einzelfallunabhängiger Rechtsanspruch vorgesehen, der der Schlüssel zu Ausbau und Finanzierung des Hilfesystems sein könnte. Dieses Instrument sorgt für eine rechtliche Durchsetzbarkeit, anders als Zuwendungen und Projektförderungen, die der jeweiligen Haushaltslage unterliegen, oder Objektförderungen, die nur in engen Grenzen möglich sind und möglicherweise dem Vergaberecht unterliegen.

 

Das Gewalthilfegesetz sollte in den Startlöchern stehen

Nicht nur die Istanbul-Konvention und die EU-Gewaltschutz-Richtlinie, sondern auch die Festlegungen im Koalitionsvertrag verlangen, dass es endlich ein Gesetz für eine flächendeckende und auskömmliche Finanzierung des Hilfesystems gibt. Dazu muss das nur noch kurze Zeitfenster der aktuellen Legislatur genutzt werden. Auch darf das Inkrafttreten der vorgesehenen Regelungen nicht auf die lange Bank geschoben werden. Umsetzungsfristen bis 2030 sind zu lang!

 

Offener Brief von FHK: Versprechen einlösen: Angekündigtes Gewalthilfegesetz muss jetzt kommen! 

 

 


  1.  Bundesverfassungsgericht: Leitsätze zum Urteil des Zweiten Senats vom 27. Juli 2004, - 2 BvF 2/02 - Die Rahmengesetzgebung des Bundes ist auf inhaltliche Konkretisierung und Gestaltung durch die Länder angelegt. Den Ländern muss ein eigener Bereich politischer Gestaltung von substantiellem Gewicht bleiben. Ein Ausnahmefall i. S. v. Art. 75 Abs. 2 GG liegt vor, wenn die Rahmenvorschriften ohne die in Einzelheiten gehenden oder unmittelbar geltenden Regelungen verständigerweise nicht erlassen werden könnten, diese also schlechthin unerlässlich sind.