Interview BAG Täterarbeit: „Da gibt es keinen Affekt“

Roland Hertel, Vorsitzender der Bundesarbeitgemeinschaft Täterarbeit, im Interview über die Bedeutung von Täterarbeit für die Prävention von geschlechtsspezifischer Gewalt, seine Erfahrungen mit Männlichkeit und Gewalt und die Rolle als feministischer Verband in der Männerarbeit.

Hand hält fallende Dominosteine auf, sodass eine Reihe Steine hinter der Hand stehen bleibt.

FHK: Die meisten Leser*innen kennen die BAG Täterarbeit sicherlich. Stellst du euch für alle anderen kurz vor?

Wir sind der Dachverband für Einrichtungen, die mit gewaltausübenden Menschen in Partnerschaften arbeiten. Nach unserer Gründung 2007 haben wir den ersten Täterarbeitsstandard für Deutschland entwickelt und ihn dann u.a. mit FHK bis 2014 nochmal komplett überarbeitet.

Ich bin stolz darauf, dass wir schon damals ein relativ großes Vertrauen und Verständnis untereinander entwickeln konnten.

Wir sind ein junger Verband und haben die gleichen Probleme, die die Frauenunterstützung auch hat: fehlende Finanzierung und die fehlende Bereitschaft der Bundesländer, überhaupt flächendeckend Täterarbeitseinrichtungen oder auch Frauenschutzeinrichtungen einzurichten. Beispielsweise muss für Mitgliedschaft in der BAG nach Möglichkeit unser Standard umgesetzt werden, was aber sehr häufig in der Praxis daran scheitert, dass die Leute oder die Einrichtung gar nicht ausreichend dafür finanziert sind.

Und wir sind ein feministischer Dachverband, gegründet wegen männlicher häuslicher Gewalt. Das trage ich auch sehr deutlich nach außen, was uns bei den Männerverbänden nicht unbedingt beliebt gemacht hat.

FHK: Was bedeutet das konkret?

Bei den Männerverbänden wird oft nicht verstanden, dass die Istanbul-Konvention sich in erster Linie an Frauen und Kinder richtet, die von Gewalt betroffen sind. Wir reden bei der Konvention ja nicht nur von häuslicher Gewalt, wir reden von sexualisierter Gewalt, von Menschenhandel, von Genitalverstümmelung und von Stalking. Und da ist der Unterschied in der Geschlechterverteilung Betroffener einfach massiv.

Die Männerverbände in Deutschland fahren im Moment einen harten Konfrontationskurs zu weiblicher Gewalt.

Ich kann aus meiner Erfahrung sagen: Wir haben diese vermeintlichen 20 Prozent weiblicher Täter*innen, von denen die Kriminalstatistik ausgeht, noch nie gehabt.

Meine Kolleg*innen und ich haben etwa 12.000 Fälle begleitet, machen im Jahr rund 700 Hausbesuche. Das ist mein Hellfeld. Ich glaube nicht, dass jemand in Deutschland mehr Fälle begleitet hat als wir. Und wir haben immer zwischen 5 und 8 Prozent weibliche Gewaltausübende. Mich ärgert deshalb auch die polizeiliche Kriminalstatistik zu Partnerschaftsgewalt massiv, weil jeder Polizist weiß, dass mindestens die Hälfte dieser 20 % Gegenanzeigen von gewalttätigen Männern sind oder Anzeigen, wenn die Frauen sich wehren.

Bei der PKS wird auch nicht unterschieden, ob bei männlichen Opfern auch wirklich weibliche Gewalt die Ursache ist. Ich sage nicht, Frauen üben keine Gewalt aus. In unserer wissenschaftlichen Untersuchung haben die Frauen auch eingeräumt, dass sie durchaus psychische Gewalt ausüben.

Aber es hat sich gezeigt: Je körperlicher Gewalt wird, umso männlicher wird sie auch. Frauen übertreten auch, aber Männer treten anders.

Die treten nämlich so lange, bis die Frauen sich nicht mehr bewegt. Durch unsere schnelle Intervention bei Platzverweisen – innerhalb von 36 Stunden nach der Eskalation – sehen wir Frauen, die sehen aus, als wäre da ein Traktor drübergefahren. Ich habe noch keinen Mann gesehen, der auch nur halbwegs so ausgesehen hat. Mich ärgert es, wenn dann Männerverbände kommen und sagen: Frauen sind genauso gewalttätig. Diesen Mythos muss man gleich demaskieren, dahinter ist ganz wenig Substanz. Dafür müssen wir aber ein viel besseres Verständnis für Statistik schaffen und dafür, dass man nicht einfach weibliche Gewalt und männliche Gewalt in einen Topf werfen kann.

FHK: Welche Kriterien muss Täterarbeit erfüllen, um Teil der BAG Täterarbeit zu sein?

Ganz zentral ist, dass in Kooperationsbündnissen gearbeitet werden muss, das heißt mit dem ganzen Netzwerk vor Ort. Dazu fehlt meines Erachtens in der Praxis oftmals die Bereitschaft, obwohl klar nachgewiesen ist, dass man durch Kooperationsbündnisse die größten Erfolge erzielt.

Ein anderer zentraler Punkt ist, dass Männer Verantwortung übernehmen müssen und sich kritisch mit ihrer Haltung gegenüber Frauen auseinandersetzen: mit Gender, Männer- und Frauenbild. Ich habe ganz viele Männer in der Beratung, die sagen „Meine Frau provoziert mich und deswegen übe ich Gewalt aus“ oder „Eigentlich müsste meine Frau hier sitzen“. Es geht darum, dass jeder Mann die Verantwortung für sein eigenes gewalttätiges Verhalten übernimmt.

FHK: Welche Rolle spielt Täterarbeit für die Prävention von geschlechtsspezifischer Gewalt?

Die Täterarbeit hat eine große Rolle für Prävention: sie soll für die Zukunft Rückfälle verhindern.

Ich möchte ganz deutlich sagen: Da gibt es keinen Affekt. Männer wissen ganz genau: Jetzt hau ich ihr in die Fresse und dann ist es still.

99,9% könne genau schildern, was sie im Vorfeld dieser körperlichen Gewalt erleben. Es gibt einen Spannungsaufbau, eine Diskussion, die Frau widerspricht, und da fängt er an zu zittern oder schwitzt oder wird unruhig.

Bei uns sollen Männer einen besseren Zugang zu ihren Gefühlen bekommen und solche Signale zu erkennen. Es ist ein soziales Training, keine Therapie. Es geht um Verhaltensänderungen. Der Täter muss „unmännlich“ reagieren lernen, er muss aus der Situation rausgehen. Dazu gehört ein Notfallplan, den die Frauenunterstützung auch mit der Frau bespricht.

FHK: Wie erreicht ihr solche Verhaltensänderungen?

In der Logik von Gewalttätern ist die Konstellation großer Mann – kleine Frau häufig eine aus ihrer Sicht gleichberechtigte Situation. Wenn Frauen dann zu stark werden, was gerade in jungen Partnerschaften oft vorkommt, bekommen die Männer das Gefühl, sie seien nun unterlegen. Jetzt müssen sie Gewalt anwenden, um den aus ihrer Sicht gleichberechtigten Zustand wiederherzustellen. Bei dieser Logik müssen wir ansetzen.

Ich bin ein Anhänger von Rollenspielen, weil ich glaube, wir müssen das erleben, gerade wenn es um Kinder geht. Bei der Tatrekonstruktion lasse ich die Täter alles aus drei Perspektiven nachspielen, nämlich aus der eigenen, aus der der Frau und aus der Perspektive des Kindes, damit sie sich mal rein reinfühlen können, was die Kinder erleben, wenn sie das beobachten müssen. Ich zeige den Männern auch Bilder, die Kinder bei uns im Projekt gemalt haben, wie sie ihren Papa erleben: als Wut-Papa. Damit kriegt man die meisten wieder, über die Kinder. Oft haben die Männer überhaupt keinen Blick dafür, dass die Kinder das alles mitbekommen. Den haben aber Frauen auch oft nicht. Die Kinder kriegen alles mit. Bis zu meinem achten Lebensjahr habe ich selbst massiv erleben müssen, wie mein studierter Vater meine Mutter malträtiert hat, wenn er getrunken hatte. Ich habe das alles erlebt. Ich weiß also, wovon ich rede.

Die wissenschaftliche Begleitung zeigt, dass mitbetroffene Kinder später selbst Betroffene sind oder selbst Gewalt ausüben. Eigentlich müsste auch deshalb die Prävention viel früher anfangen, nicht erst im Erwachsenenalter.

FHK: Gibt es denn Einrichtungen bei euch, die Primärprävention machen, also mit Kindern und Jugendlichen arbeiten?

Es gibt auf Bundesebene ganz wenige, die gezielt auch mit Kindern arbeiten. Das ist ein ganz junger Bereich, aber meines Erachtens der wichtigste.

Wenn wir über Gewalt sprechen, müssen wir über ein gewaltbelastetes Familiensystem sprechen.

Wir haben eine Familie, wir haben ein Paar, und wir haben auch die Kinder. Man muss gucken: Was braucht eigentlich das System? Wenn wir über Prävention sprechen, ist Täterarbeit eben nur ein Teil.

FHK: Was bedeutet ein erfolgreicher Verlauf, wenn jemand an euren Programm teilnimmt?

Erfolgreich würde ich gar nicht sagen, da bin ich sehr vorsichtig. Ich sage „ordnungsgemäß abgeschlossen“. Wir haben die Erfahrung, dass es durchaus einige Männer gibt, die haben alles ordnungsgemäß absolviert, und rufen nach einem Jahr, zwei Jahren, drei Tagen an und sagen: „Ich habe ein Problem, das kocht wieder bei uns. Kann ich noch mal drei, vier Gespräche haben?“. Ich finde eigentlich, das muss der richtige Weg sein, dass die Männer von selbst reagieren, nicht als Sanktion.

Wenn du als Hilfsangebot agierst, kommst du auch an die Männer dran, bei denen Frauen kein Strafverfolgungsinteresse haben. 80 Prozent der Frauen haben keine Strafverfolgungsinteresse. Sie wollen aber, dass der Mann sich ändert. Und man kann ja empathisch konfrontieren. Man kann sagen: „Ich akzeptiere dich als Menschen, aber was du deiner Frau oder den Kindern antust, verurteilen wir.“

Wir müssen den Menschen annehmen als Klient, nicht als Täter.

Es sind Hilfsangebote: Der Mann braucht Hilfe und ist erstmal aus unserem Rechtsverständnis noch gar nicht Täter. Wir müssen irgendwann dazu kommen, dass wir nicht mehr von Täterprogramm sprechen, sondern andere Begriffe finden.

FHK: Wer sucht eure Angebote auf?

Alle Schichten, alle Bildungsgrade. Ich hatte in Kursen Pfarrer, Ingenieure, Steuerberater, Manager, natürlich auch Polizisten, da war schon alles dabei. Mal kommen sie freiwillig, mal per Auflage. Die oberen Schichten erreicht man ein bisschen schlechter, weil die meistens gleich therapeutische Hilfe nehmen. Das problematische bei den Therapeut*innen ist, dass die oft in der Rolle der Verstehenden sind. Aber beim Großteil der Männer ist es ein soziales Problem, das geklärt werden muss.

In den Jahren 2020/2021 war der größte Anteil unserer Fälle Paare zwischen 20 und 30. Das hat mich ein bisschen traurig gemacht, weil die Gewalt von so jungen Männern ausging.

Wir halten uns für relativ emanzipiert, wir reden von Gleichberechtigung und dann lebt da ein Großteil der jungen Männer immer noch so ein patriarchales Rollenbild.

FHK: Gibt es Zielgruppen, bei denen die Ziele des Programms schwerer zu verwirklichen sind?

Es wird dann schwer, wenn Männer auch in anderen Lebensbereichen massiv gewalttätig sind und jeden Konflikt mit Gewalt lösen. Unserer wissenschaftlichen Begleitung hat gezeigt, dass für Frauen Trennung dann praktisch unmöglich ist und sie eigentlich in ständiger Angst um ihr Leben sind. Mit diesen Männern zu arbeiten ist schwer. Die würde ich auch zunächst gar nicht in ein Gruppensetting aufnehmen, denn da geht es um Gewalt im täglichen Leben und um prinzipielle Konfliktlösung durch Gewalt.

FHK: Wie wird evaluiert, wie erfolgreich die Arbeit mit den Tätern verläuft?

Wir haben eine Evaluationsstudie gemacht. Sowohl die Frauen als auch die Männer haben gesagt, die körperliche Gewalt hört in den ersten drei Monaten des Programms signifikant auf. Es passiert aber im Verlauf erstmal eine Verlagerung auf verbale und psychische Gewalt. Die entscheidenden Prozesse spielen sich bei den Männern erst nach sieben bis neun Monaten ab, was sicher mit den Modulen zusammenhängt: Partnerschaft, Kommunikation, Vaterrolle. Deswegen ist eine Langfristigkeit hier enorm wichtig.

FHK: Wer trägt denn die Kosten für die Teilnahme?

Wir haben sowohl für die Interventionsstellen wie auch für die Täterarbeit eigene Koordinierungsstellen, landesfinanziert. Rheinland-Pfalz hat schon 1999 Frauen und Kinder unter den Schutz des Landes gestellt. Seit 2005 gibt es 18 landesfinanzierte Interventionsstellen, seit 2007 landesfinanzierte Täterarbeit in acht Landgerichtsbezirken. Seit 2014 haben wir außerdem einen Leitfaden für Hochrisikomanagement in ganz Rheinland-Pfalz. In jedem Polizeipräsidium werden Hochrisiko-Fallkonferenzen durchgeführt. Wir haben mit RIGG, dem rheinland-pfälzischen Interventionsprojekt gegen Gewalt in engen sozialen Beziehungen, einen landesweiten runden Tisch, da sitzt jeder drin, der ein Ohr braucht – Ministerien, die Einrichtungen, die Träger. So kann man natürlich ganz anders mit der Politik agieren. Ich glaube, das wäre ein Modell für ganz Deutschland

FHK: Was sind aktuell die größten Hindernisse für Eure Arbeit?

Die Finanzen. Und die Unfähigkeit einiger Länder, zu erkennen, dass Täterarbeit nicht Sache des Bundes oder der Kommune ist, sondern auch eine Länderaufgabe. Wir haben zum Beispiel in Baden-Württemberg keine einzige Einrichtung, die landesfinanziert ist, weder in der Frauenunterstützung noch in der Täterarbeit.

Die Istanbul-Konvention verpflichtet zu Präventionsmaßnahmen. Wir haben von GREVIO ja ein wirklich schlechtes Zeugnis bekommen. Ich habe jetzt die Erwartung, dass die Bundesländer in die Gänge kommen.

Aus zehn Jahren in der Bund-Länder-Arbeitsgruppe weiß ich: Der Bund will. Es die sind Länder, die da bremsen.

Für mich ist es erschütternd, dass jedes Bundesland sein eigenes Ding macht. Es ist keiner bereit, mal zu schauen: Wie macht ihr das und ist das erfolgreich? Stattdessen geht es immer nur um’s Geld. Das ist ärgerlich, weil der Schaden für die Volkswirtschaft und Gesundheit immens ist.

Ansonsten würde ich sagen, die Justiz ist mit ihren Familiengerichten der ganz schwache Part.

FHK: In Österreich ist die Teilnahme an sechs Stunden Täterarbeit inzwischen verpflichtend, wenn Betretungs- oder Annäherungsverbote ausgesprochen werden. Würdest du dir für Deutschland eine ähnliche Regelung wünschen?

Das ist eine super Sache – aber ich weiß nicht, ob das in Deutschland funktionieren würde. Bei uns kommt dann ein Anwalt und sagt: „Der geht da nicht hin, der sagt nämlich nichts mehr. Zur Täterarbeit zu gehen, wäre ja ein Schuldeingeständnis“. Oder die Frage: Was machen wir denn, wenn er nicht hingeht? Die Staatsanwaltschaften können da nichts machen, die müssen erst objektiv ermitteln. Und die große Kunst wird auch sein, nach den sechs Gesprächen die Männer davon zu überzeugen, nicht zu sagen: „Auflage erfüllt, jetzt gehe ich“ und dafür zu sorgen, dass sie im Anschluss bei der opferorientierten Täterarbeit landen. Deswegen glaube ich, wir brauchen einen anderen Zugang.

FHK: Was würdest du sagen: Wie ist Deutschland in Sachen Prävention aufgestellt?

Nicht gut. Wir sollten nicht nur das Thema häusliche Gewalt besser in dem Fokus nehmen, sondern wir müssen präventiv an unserem ganzen Rollenverständnis arbeiten, schon mit unseren Kindern im Kindergarten und der Schule, damit wirklich Gleichberechtigung entsteht. Wenn wir ehrlich sind, haben wir immer noch patriarchale Verhältnisse. Das wird in den Verfahren, die wir haben, sehr deutlich.

Wir brauchen auch viele junge Frauen, die dieses Selbstverständnis haben der Gleichheit zwischen Mann und Frau. Wir haben eine schwer behinderte Tochter, die sitzt im Rollstuhl und ist geistig total fit. Die sagt immer: „Integration muss gelebt werden, nicht geredet werden.“ Das gleiche gilt für Gleichberechtigung: Wir müssen Gleichheit nicht reden, wir müssen sie leben.

Das Interview entstand im Rahmen der FHK-Fachinformation „Prävention. geschlechtsbasierter Gewalt nachhaltig entgegenwrken“ (2023)


Zum Gesprächspartner: Roland Hertel ist seit 2013 Vorsitzender der BAG Täterarbeit.