Frauenhauskoordinierung (FHK) bedankt sich für die Gelegenheit, sich am Gesetzgebungsverfahren zu beteiligen. Wir wollen uns auf wesentliche Kernpunkte aus der Perspektive gewaltbetroffener Frauen beschränken.
FHK orientiert sich dazu am Eckpunktepapier (kursiv: Zitate aus diesem Papier vom Mai 2019) und am Gesetzesentwurf, die Regelungsvorschläge zum Themenfeld häusliche und sexualisierte Gewalt enthalten.
1. Bündelung der Nebenklagevertretung – § 397 b StPO-neu
Die Bündelung der Nebenklagevertretung soll zum einen die wirksame und nachhaltige Wahrnehmung der Opferinteressen in der Hauptverhandlung ermöglichen. Zum anderen sollen Verfahrensverzögerungen vermieden und die „Waffengleichheit“ als konstituierendes Element einer fairen Verfahrensführung sichergestellt werden.
Diese Maßnahme ist für mehrere Opfer eines gemeinsam erlittenen Ereignisses vorgesehen. In erster Linie geht es laut Begründung dabei um die Angehörigen von getöteten Opfern.
FHK denkt bei diesem Vorschlag auch an Massenvergewaltigungen. In diesen Fällen kann nicht von gleichgerichteten Interessen ausgegangen werden, da sowohl Tathandlung als auch Folge gegenüber jeder gewaltbetroffenen Frau unterschiedlich ausfallen. Wie sie ihre Nebenklagerechte wahrnimmt, muss sie individuell mit einer nur ihr zugeordneten Nebenklagevertretung bewerkstelligen können. Es ist nicht vertretbar, dass sie, um dies zu erreichen, zunächst ihre Motivlage darstellen muss. Auch ist nicht immer im Vorfeld klar, wie sich die Interessenlagen der verschiedenen Beteiligten während des Verfahrens entwickeln.
FHK schlägt vor, klarzustellen, dass eine Mehrfachvertretung ohne Begründung abgelehnt werden kann bzw. diese Fälle nicht gemeint sind. Eine Nebenklagevertretung darf bei sexualisierter und häuslicher Gewalt nicht gebündelt werden.
2. Ausweitung der Nebenklageberechtigung auf alle Vergewaltigungstatbestände § 397 a StPO-neu
Die Beiordnung eines Opferanwalts ist insbesondere in sämtlichen Vergewaltigungsfällen sachgerecht, und zwar auch, wenn keine Gewalt angewendet und auch nicht mit Gewalt gedroht wird, sondern ein Handeln gegen den erkennbaren Willen vorliegt.
Diese Regelung ist zu begrüßen. Es ist jedoch sicherzustellen, dass alle durch die Strafrechtsreform erfassten Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung von der Nebenklageberechtigung erfasst werden. Auch die psychosoziale Prozessbegleitung muss für diese Fälle gewährleistet werden.
3. Bild-Ton-Aufzeichnung einer richterlichen Vernehmung §§ 58 a, 255 a Abs. 2 StPO-neu
a) Die Möglichkeiten der Aufzeichnung richterlicher Vernehmungen im Ermittlungsverfahren sollen auf zur Tatzeit bereits erwachsene Opfer von Sexualstraftaten ausgeweitet werden.
b) Darüber hinaus soll die im geltenden Recht vorgesehene Soll-Regelung der Videovernehmung für Opfer von Sexualstraftaten durch eine Muss-Regelung ersetzt werden, die allerdings im Wege einer „doppelten Einverständnislösung“ an die Zustimmung des betroffenen Verletzten gebunden sein soll. Danach hat eine Aufzeichnung der Vernehmung zu erfolgen, wenn damit die schutzwürdigen Interessen des Opfers besser gewahrt werden können und das Opfer der Aufzeichnung vor der Vernehmung zustimmt. Eine Vorführung der Aufzeichnung in der Hauptverhandlung nach § 255a StPO soll nur ausgeschlossen sein, wenn das Opfer unmittelbar nach der Vernehmung ausdrücklich widerspricht und der Vorführung auch nicht im weiteren Verlauf des Verfahrens zustimmt.
Diese Regelung ist zu begrüßen. Die richterliche Video-Vernehmung ermöglicht es dem Opfer, ein erneutes Zusammentreffen mit dem Schädiger in der häufig zermürbenden Hauptverhandlung zu vermeiden. Da die aufgezeichnete Vernehmung fixiert ist, muss es Möglichkeiten für eine Korrektur, wie sie in der mündlichen Verhandlung noch möglich wäre, geben. Zudem ist das Zeitfenster für einen Widerspruch viel zu kurz, da infolge einer gerade erfolgten Vernehmung von einer hohen Belastung auszugehen ist. In dieser Situation sollte der Opferzeugin nicht sofort diese weitreichende Entscheidung abverlangt werden.
4. Aufzeichnung/Dokumentation des Strafprozesses
Im Strafverfahren wird die Hauptverhandlung nur äußerst sporadisch dokumentiert. Es gibt kein Wortprotokoll und keine Audio-/Video-Aufzeichnung. Auch dieses Thema wird im Modernisierungsgesetz vollständig ausgeklammert.
Opfer sexualisierter und/oder häuslicher Gewalt leiden insbesondere darunter, ihren Fall wieder und wieder schildern zu müssen. Die erwähnte Video-Aufzeichnung der Vernehmung erleichtert Opfern die Beteiligung am Strafverfahren. In der Hauptverhandlung sollten auch die Aussagen und das Verhalten des Beschuldigten festgehalten werden, um zu belastbaren Ergebnissen für die Urteilsfindung zu kommen.
Berlin, 08.10.2019
Dorothea Hecht
Referentin Recht
Frauenhauskoordinierung e.V.