Stellungnahme von FHK zum Entwurf eines Gesetzes zur Regelung des Sozialen Entschädigungsrechts

Das soziale Entschädigungsrecht wird reformiert. Wesentliche Kritikpunkte wurden im nun vorliegenden Regierungsentwurf entschärft. Dennoch bezweifeln wir, dass die Signale des Gesetzes zu einer Verbesserung der Verwaltungspraxis für gewaltbetroffene Frauen ausreichen. Auch ist es nicht vermittelbar, dass das Gesetz erst im Jahr 2024 in Kraft treten soll und damit für sehr viele Betroffene derzeit keine Verbesserung bringt.

Stellungnahme FHK zum Entwurf eines Gesetzes zur Regelung des Sozialen Entschädigungsrechts

Berlin, 19.09.2019

Stellungnahme zum SGB XIV-RegE von Frauenhauskoordinierung zum Entwurf eines Gesetzes zur Regelung des Sozialen Entschädigungsrechts des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales – Bearbeitungsstand vom 05.08.2019 – Regierungsentwurf

 

Vorbemerkung

Frauenhauskoordinierung (FHK) hat sich bereits mit zwei Stellungnahmen (31.03.2017 und 07.01.2019) am Gesetzgebungsverfahren beteiligt. Zum nun vorgelegten Regierungsentwurf (RegE) wollen wir uns aus der Perspektive gewaltbetroffener Frauen auf wesentliche Kernpunkte beschränken.

Es wird begrüßt, dass einige Kritikpunkte umgesetzt wurden. Hinter diesen Status Quo dürfen die Regelungen im weiteren Gesetzgebungsverfahren nicht wieder zurückfallen.

Der vorliegende Entwurf erfordert noch Nachbesserungen:

•       Bereitschaft zur Strafanzeige: § 19 Abs. 2 RefE, ist jetzt § 17 Abs. 2 SGB XIV-RegE

Der Halbsatz „insbesondere unverzüglich Anzeige bei einer für die Strafverfolgung zuständigen Behörde zu erstatten“ ist im neuen § 17 Abs. 2 weggefallen. In der Begründung ist allerdings nun aufgeführt, dass die antragstellende Person „grundsätzlich an der Sachverhaltsaufklärung mitwirken und das ihr Mögliche und Zumutbare zur Verfolgung der Täterin oder des Täters beitragen (soll).“ Letztlich ist zu befürchten, dass die Praxis dann im Ergebnis doch eine Strafanzeige erwartet bzw. Druck im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren entsteht, denn häufig setzt nur ein Strafantrag die Strafverfolgung in Gang. In der Gesetzesbegründung ist das Mitwirkungsgebot des Opfers zu entfernen.

•       Leistungsversagung bei Verbleiben in der Gewaltbeziehung: § 19 Abs. 1 im RefE, jetzt § 17 Abs. 1 SGB XIV-RegE

Gegenüber dem Referentenentwurf ist die Entziehung der Leistung wieder beseitigt worden. Die übriggebliebene Vorschrift ist dem bisherigen § 2 Abs. 1 Satz 1 Opferentschädigungsgesetz (OEG) nachgebildet. Das Verbleiben in der Gewaltbeziehung wird in der bisherigen Verwaltungspraxis zum OEG immer wieder als Versagungsgrund angeführt (angenommene Mitschuld des Opfers). Von den schon geringen Antragszahlen (2008 10,57 % der in der Polizeilichen Kriminalstatistik erfassten Fälle; Rückgang in 2017 auf 8,81 % der Fälle) ging zudem der Anteil der Anerkennungen von 37,46 % (2008) auf 27,39 % (2017) zurück.[1] Die Behörden müssen dann durch die Gerichte verpflichtet werden, die Leistungen zu gewähren. Bei einer regelmäßigen Verfahrensdauer nicht unter fünf Jahren[2] an den Sozialgerichten verlieren die Betroffenen den Mut und stehen in dieser Zeit ohne Leistungen da.

Da sich der Gesetzestext nicht vom OEG unterscheidet, wird befürchtet, dass sich die Verwaltung weiter an der bisherigen Praxis orientieren wird. Eine klarstellende Formulierung in der Gesetzesbegründung z.B. unter Hinweis auf sozialgerichtliche Entscheidungen[3] könnte Opfern häuslicher Gewalt zugute kommen.

•       Synchronisierung der Entschädigungstatbestände mit den Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung

§ 13 Abs. 2 SGB XIV-RegE liefert für den Maßstab körperlicher und psychischer Gewalt konkret benannte Straftatbestände oder solche Taten von vergleichbarer Schwere. Dabei werden Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung, die möglicherweise diese Schwelle nicht erreichen, aber dennoch unter strafrechtliche Sanktion gestellt sind, ausgeklammert. Die Errungenschaft der Reform des Sexualstrafrechts („nein heißt nein“) muss auch im Entschädigungsrecht abgebildet werden.

  • Schutzlücke bis zum Jahr 2024

Das Inkrafttreten des Gesetzes ist erst für das Jahr 2024 vorgesehen. Das bedeutet, dass Taten, die heute und bis zu diesem Zeitpunkt geschehen, nicht bzw. nach dem jetzt geltenden OEG – mit den oben aufgezeigten Schwierigkeiten – entschädigt werden. Wenn der Staat die Verbesserung des Entschädigungsrechts beabsichtigt und erkennt, dass Opfer von Straftaten unzureichend versorgt werden, kann er nicht sehenden Auges diese für eine lange Zeit leer ausgehen lassen. Art. 30 der Istanbul-Konvention[4] verlangt schon jetzt eine angemessene staatliche Entschädigung, die innerhalb eines angemessenen Zeitraums zu gewähren ist.

Es bedarf daher dringend vernünftiger Übergangs- bzw. Rückwirkungsregelungen.

 

Dorothea Hecht
Referentin Recht
Frauenhauskoordinierung e.V.                                                                                                                                                                                                  


[1]https://weisser-ring.de/media-news/publikationen/statistiken-zur-staatlichen-opferentschaedigung.

[2] S. Anmerkung zu Urteil LSG Berlin-Brandenburg vom 10.01.2019, L 13 VG3/18, Rechtsanwältin Gienke, Berlin, in STREIT 2/2019, S. 83.

[3] Vgl. Rechtsprechungsnachweise in Urteil zur vorhergehenden Fußnote.

[4] Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt.