Der Bericht der Bundesregierung für die erste thematische Evaluierungsrunde des Übereinkommens zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Istanbul-Konvention, kurz IK, genannt) hat einen Umfang von 673 Seiten. Auf den ersten 98 Seiten findet sich der Staatenbericht in Form der Beantwortung der von GREVIO (Group of Experts on action against violence against women and domestic violence) ausgegebenen Fragen.
Unter Federführung des Bundesministeriums für Bildung, Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMBFSFJ) sind die folgenden Ressorts und Beauftragten beteiligt worden: Justiz und Verbraucherschutz (BMJV), Inneres (BMI), Verteidigung (BMVg), Arbeit und Soziales (BMAS), Gesundheit (BMG), Forschung, Technologie und Raumfahrt (BMFTR), Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen (BMWSB), Bundesbeauftragte für Integration (IntB), für die Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt (QB) und Unabhängiger Bundesbeauftragter für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM).
Da die Umsetzung der IK aufgrund des föderalen Systems weitgehend in den sechzehn Ländern und über 11.000 Kommunen zu erfolgen hat, waren die Bundesländer an der Erstellung des Berichts beteiligt. Die Bereitstellung, der Ausbau und die Finanzierung von Hilfs- und Unterstützungseinrichtungen für von Gewalt betroffene Frauen wurden in den Hauptteil des Berichts aufgenommen. In einem Anhang wurden in über 400 Seiten die gesammelten Beiträge der Länder zusammengestellt. Ein weiterer Anhang befasst sich mit administrativen Daten und Statistiken (etwa 30 Seiten), in zwei Tabellen werden Erstausbildung (Schule oder Berufsausbildung) und Weiterbildung verschiedener Berufsgruppen – jeweils bezogen auf die einzelnen Bundesländer (etwa 120 Seiten) dargestellt.
Erwartungsgemäß enthält der Bericht wesentliche Errungenschaften wie
- die Gewaltschutzstrategie des Bundes (2025–2030) mit über 120 Maßnahmen,
- das Gewalthilfegesetz (GewHG) zur Sicherstellung eines flächendeckenden Netzes von Schutz- und Beratungsstellen und einem Rechtsanspruch auf Hilfe ab 2032,
- die Errichtung einer Koordinierungsstelle im BMBFSFJ zur Umsetzung und Überwachung der Istanbul-Konvention,
- das Monitoring durch die Berichterstattungsstelle geschlechtsspezifische Gewalt beim Deutschen Institut für Menschenrechte.
Hinsichtlich der Einspeisung von Finanzmitteln ins Hilfesystem wird auf das in der Gewaltschutzstrategie unterlegte Budget, die Finanzierung von Frauenhäusern, Beratungsstellen und Präventionsprojekten durch die Länder sowie Förderprogramme, z. B. „Gemeinsam gegen Gewalt an Frauen“ mit 140 Mio. € (2020–2024), verwiesen.
Zu Daten und Forschung bezieht sich der Bericht auf erweiterte Polizeistatistiken zur Erfassung von Tatorten, Verletzungsgrad, Täter-Opfer-Beziehung, nationale Lagebilder zu geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt sowie auf die erwartete Dunkelfeldstudie LeSuBiA zur Erfassung nicht gemeldeter Gewalt.
Gesetzesänderungen zu Anti-Gewalt-Trainings im Familienrecht sowie Gesetzesinitiativen und Schutzmaßnahmen gegen Cybergewalt werden angekündigt.
Maßnahmen für besonders gefährdete Gruppen: Frauen mit Behinderungen, Migrationshintergrund, LGBTIQ*, ältere Frauen sowie der Ausbau von Einrichtungen und Schulungen werden beschrieben. Der Bereich Bildung und Prävention erfährt eine besondere Betonung.
Dem steht gegenüber, dass das Bündnis Istanbul-Konvention in einem in Kürze erscheinenden Alternativbericht die Lücken im System und die noch unzureichende Umsetzung der Istanbul-Konvention aufzeigen wird. Derzeit sind in allen Bereichen Kürzungen der Finanzmittel bzw. Beendigung der Förderung verschiedener Projekte zu beobachten. Dies ist ein Widerspruch zu den genannten Maßnahmen im Staatenbericht. Die an verfassungs- und EU-rechtliche Grenzen stoßende Migrationspolitik vermittelt das Gegenteil der behaupteten Verbesserungen für gewaltbetroffene Migrant*innen. Die lange erwartete Reform des Kindschaftsrechts ist weiterhin nicht absehbar.
Der Staatenbesuch durch die Expertengruppe (GREVIO) soll im ersten Halbjahr 2026 stattfinden. Die Zivilgesellschaft erwartet einen Austausch und wird auf die Umsetzung der notwendigen Ziele der Europaratskonvention verweisen. Die Auswertung von Staaten-, Alternativbericht und Besuch vor Ort wird GREVIO in einem Bericht zum Ende des Jahres 2026 zusammenfassen.





















