Neuer Gesetzentwurf in Nordrhein-Westfalen – Was ist geplant?
Die Landesregierung Nordrhein-Westfalens hat am Freitag, 23. Mai 2025, einen Gesetzentwurf im Bundesrat vorgelegt, der den Schutz vor häuslicher Gewalt, insbesondere für Frauen, deutlich verbessern soll. Der Entwurf sieht vor, dass Gerichte bei wiederholten Verstößen gegen Schutzanordnungen schneller und konsequenter reagieren können. Konkret sind folgende Maßnahmen vorgesehen:
Härtere Strafen: Schwere Verstöße gegen Schutzanordnungen sollen künftig mit Freiheitsstrafen von drei Monaten bis zu fünf Jahren geahndet werden.
Frühzeitige Einbindung der Polizei: Familiengerichte sollen bei Antragstellung auf Schutzanordnungen die Polizei informieren, um präventives Handeln zu ermöglichen.
Deeskalationshaft: Bei Wiederholungsgefahr soll Untersuchungshaft nach § 112a StPO auch bei schweren Verstößen gegen das Gewaltschutzgesetz möglich sein.
Stärkung des Opferschutzes: Betroffene sollen besseren Zugang zu psychosozialer Prozessbegleitung und rechtlicher Unterstützung erhalten.
Mit diesem Gesetzentwurf will Nordrhein-Westfalen eine bundesweite Reform im Bereich des häuslichen Gewaltschutzes anstoßen.
Stellungnahme von Frauenhauskoordinierung e.V. (FHK)
Die geplante Gesetzesinitiative ist grundsätzlich zu begrüßen, da das Thema Gewalt gegen Frauen höchste Aufmerksamkeit verdient. Dennoch sehen wir kritisch, dass der Entwurf vor allem auf strafrechtliche Maßnahmen setzt und damit einen ganzheitlichen Ansatz vermissen lässt.
Präventive Wirkung fraglich
Erfahrungen und kriminologische Erkenntnisse zeigen, dass härtere Strafen keine präventive Wirkung entfalten. Täter im Bereich Partnerschafts- und häuslicher Gewalt lassen sich durch höhere Strafandrohungen in der Regel nicht abschrecken. Die Kriminologie ist hier klar und verweist darauf, dass das Strafrecht zeitlich zu spät ansetzt, um schwere Gewalttaten und Morde zu verhindern.
Kritik an der Ausgestaltung von § 4 GewSchG
Die geplante Änderung des § 4 GewSchG knüpft an die frühere Fassung des Stalking-Paragrafen an und verlangt vom Opfer, die tatsächliche Beeinträchtigung der eigenen Lebensgestaltung darzulegen. Dies wurde bereits im Zusammenhang mit Stalking kritisiert und führt zu einer zusätzlichen Belastung und möglichen Reviktimisierung der Betroffenen.
Polizeiliche Einbindung und Praxisprobleme
Die Idee, im Vorfeld von Gewaltschutzanordnungen die Polizei einzubeziehen, ist zunächst gut. Allerdings besteht bereits jetzt eine Verbindung zur Polizei dahingehend, dass in der Regel einem Gewaltschutzverfahren ein Polizeieinsatz vorangegangen ist. Hier ist eher eine Synchronisierung des Polizeirechts mit dem Familienverfahren erforderlich, da es häufig nicht gelingt, in der Frist der polizeilichen Wegweisung einen gerichtlichen Beschluss nach dem Gewaltschutzgesetz zu erlangen.
In der Praxis wird die Gewaltbetroffene in dieser Phase gerade nicht ausreichend unterstützt. In der Zeit bis zum Beschluss nach dem Gewaltschutzgesetz wird sie nicht polizeilich begleitet. Unterstützungs- oder Beratungsangebote sind nicht ausreichend vorhanden und/oder gesetzlich abgesichert, obwohl proaktive Ansätze den richtigen Weg weisen. Teilweise sind Rechtsantragstellen erst gar nicht erreichbar oder die Gerichte bearbeiten die Anträge nicht innerhalb der Dauer der polizeilichen Wegweisung.
Mit diesen Erfahrungswerten sehen wir nicht unbedingt eine Verbesserung, die Polizei hinzuzuziehen, wenn eine Frau ohne vorher die Polizei einzuschalten (die möglicherweise ihre Gründe dafür hatte) direkt einen Antrag nach dem GewSchG stellt.
Bereits bestehende Regelungen
Das Familienverfahrensrecht sieht bereits vor, dass Anordnungen aus Gewaltschutzverfahren den Polizeibehörden mitgeteilt werden (§216a FamFG). Dieser Vorschlag ist also nicht neu, sondern bereits Gesetz. Trotz dieser bereits bestehenden Regelung ist das Schutzniveau nicht ausreichend, da sich die Polizei – zu Recht – nicht als Vollzugsorgan zivilrechtlicher Anordnungen sieht.
Verschiebung zu öffentlich-rechtlichen Maßnahmen
Die ursprüngliche Forderung nach einer zivilrechtlich selbstbestimmten Vorgehensweise gegen Gewalt an Frauen wird zunehmend durch öffentlich-rechtliche und strafrechtliche Maßnahmen ersetzt. Allerdings ist dies nur dann vertretbar, wenn sie in der Umsetzung die Gewaltsituation ernst nehmen und eine opferorientierte Perspektive einnehmen würde. Daran fehlt es sowohl mangels Sensibilisierung als auch aus rechtsstaatlichen Erwägungen.
Deeskalationshaft und Haftgründe
Das Gewaltschutzgesetz ermöglicht bereits Ordnungshaft bei hartnäckigen Verstößen. Die geplante Erweiterung des Haftgrundes der Wiederholungsgefahr auf Verstöße gegen das Gewaltschutzgesetz ergänzt zwar den Straftatenkatalog, überzeugt aber nicht. Ähnliche Straftatbestände sind bereits in § 112a StPO erfasst, werden jedoch in der Praxis kaum angewendet. Es fehlt an Sensibilisierung und Wissen über die Gefahren für Gewaltbetroffene. Wenn sich der Vorschlag davon verspricht, hier eine gewisse Signalwirkung zu entfalten, darf es nicht bei der Aufzählung im Gesetz bleiben. Inwieweit eine weitere Verlagerung in das Strafprozessrecht verfassungsrechtlich möglich ist und von der Rechtspraxis tatsächlich angewendet würde, bleibt dennoch fraglich.
Opferschutz und rechtliche Unterstützung
Die Stärkung des Opferschutzes ist grundsätzlich zu begrüßen. Die Erweiterung des Straftatenkatalogs für psychosoziale Prozessbegleitung erfolgt jedoch nicht ausdrücklich, sondern nur über eine Änderung in § 397a StPO. Der Verweis in der Begründung darauf, dass dadurch auch ein besonderer Schutz für Kinder erzielt würde, verkennt, dass das Gewaltschutzgesetz für Minderjährige nur eingeschränkt gilt (§3 GewSchG). Eine automatische Nebenklage oder Prozessbegleitung gibt es nicht; Betroffene müssen weiterhin selbst begründen, warum sie rechtliche Unterstützung benötigen. Das ist aus unserer Sicht unzureichend. Wir fordern eine generelle Kostenfreiheit für Opfer, wie sie auch die Istanbul-Konvention verlangt, sowie eine bessere Vergütung der anwaltlichen Vertretung, ohne dass dies zu einer Mehrbelastung für die Opfer führt.
Fazit
Der Gesetzentwurf aus Nordrhein-Westfalen setzt wichtige Impulse für den Schutz vor häuslicher Gewalt. Dennoch bleibt festzuhalten: Strafrechtliche Verschärfungen allein reichen nicht aus, um Gewalt effektiv zu verhindern und Betroffene umfassend zu schützen. Es braucht ein ganzheitliches Konzept, das Prävention, Schutz, Unterstützung und ein funktionierendes Hilfesystem gleichermaßen in den Blick nimmt.
Zentral ist dabei die Einführung einer konsequenten Gefährdungsanalyse und eines wirksamen Risikomanagements, um Hochrisikofälle überhaupt erst eindeutig zu definieren und frühzeitig zu identifizieren. Der Entwurf selbst hebt in seiner Begründung die „Verbesserung des Informationsflusses zwischen Familiengericht und Polizei bzw. anderen öffentlichen Stellen“ hervor.
Allerdings fehlen bislang bundesweit erprobte Systeme und verbindliche gesetzliche Regelungen, die einen solchen Informationsaustausch ermöglichen. Hinzu kommt, dass Datenschutzvorschriften häufig einem koordinierten und wirksamen Zusammenwirken von Behörden, Beratungsstellen und Frauenhäusern im Wege stehen. Erst wenn diese Strukturen und Instrumente flächendeckend und rechtssicher genutzt werden, kann eine Haft – sei es zivil- oder strafrechtlich – verfassungsrechtlich vertretbar sein und von den zuständigen Berufsgruppen auch tatsächlich angewendet werden.
Frauenhauskoordinierung e.V. (FHK) fordert daher, die Initiative als Anstoß für eine bundesweite, nachhaltige Reform zu nutzen, die die Bedürfnisse der Betroffenen konsequent in den Mittelpunkt stellt und den Schutz vor häuslicher Gewalt auf eine solide, ganzheitliche Grundlage stellt.