Über 230 Teilnehmende haben den Fachtag „Handlungssicher gegen digitale Gewalt“ von Frauenhauskoordinierung e.V. (FHK) besucht.
Frauen, Mädchen und marginalisierte Gruppen sind in besonderem Maße von digitaler Gewalt betroffen. Auch das Hilfesystem steht aufgrund der zunehmenden Digitalisierung von Gewalt vor neuen Herausforderungen: Die Arbeit in Frauenhäusern erfordert nicht mehr nur psychosoziale und juristische Kompetenzen, sondern auch technisches und medienpädagogisches Fachwissen.
Frauenhauskoordinierung e.V. (FHK) hat deshalb am 25. September 2025 zu einem Fachtag in Berlin und online eingeladen. Über 130 Teilnehmende haben vor Ort, weitere 100 aus ganz Deutschland via Live-Videostream an der Veranstaltung teilgenommen.
Nach Grußworten von FHK-Vorstandsfrau Dr. Katharina van Elten und Ruth Niebuhr, Leiterin des Referats „Schutz von Frauen vor Gewalt“ im Ministerium für Bildung, Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMBFSFJ), als Vertretung der Bundesfrauenministerin Karin Prien erhielten die Teilnehmenden einen Überblick über das FHK-Projekt „Digitaler Gewalt im Frauenhaus begegnen“: Die FHK-Referentinnen Inara Shirmann, Ophélie Ivombo und Leonie Kriegshammer stellten die Schwerpunkte des Projekts – Fortbildungen, IT-Beratung, Öffentlichkeitsarbeit und medienpädagogische Materialien – vor und gaben erste Einblicke in die Erkenntnisse, die dabei gewonnen wurden.
Während des Projektzeitraums wurde deutlich: Es braucht dringend politisches Handeln. Es braucht dringend politisches Handeln – allem voran muss das von der Bundesregierung angekündigte umfassende Gesetz gegen digitale Gewalt so schnell wie möglich verabschiedet werden.
Gleichzeitig müssen Bund, Länder und Kommunen ausreichende finanzielle Mittel bereitstellen, damit in jedem Frauenhaus mind. eine Expertin für digitale Gewalt arbeitet und Bewohnerinnen Zugang zu sicheren Leihgeräten erhalten, um sich vor digitaler Überwachung zu schützen.
Panel: Komplexes Thema braucht ganzheitliche Ansätze
Bei der anschließenden Panel-Diskussion wurde klar: Digitale Gewalt im Kontext von (Ex-)Partnerschaftsgewalt ist ein Querschnittsthema, das alle Politikbereiche betreffen muss. FHK-Referentin Ophélie Ivombo machte deutlich, dass es nicht ausreicht, das Thema nur in den Bereichen Familie, Frauen und Soziales zu behandeln. Auch die Ressorts bzw. Ministerien für Bildung, Forschung, Sicherheit sowie digitale Infrastruktur müssen gleichermaßen aktiv einbezogen werden, um wirksame Prävention und Schutz zu gewährleisten.
Eva Buchleither vom Frauenhaus Troisdorf und Vanessa Eidenschink vom Frauenschutzhaus Dresden erläuterten, wie wertvoll sowohl die Fortbildungen als auch die telefonische Beratung durch IT-Expert*innen im Rahmen des FHK-Projekts für sie waren: Das in den Fortbildungen gewonnene Wissen, etwa über neue technische Entwicklungen, führte dazu, dass die Frauenhaus-Teams die Betroffenen sicher zu der Thematik beraten konnten. Außerdem haben die Frauenhäuser ausgehend von den Erkenntnissen der Beratungen und Fortbildungen u.a. ihren Aufnahmeprozess angepasst und Kooperationen mit den Jugendämtern intensiviert.
Dina Reis vom Ministerium für Soziales, Gesundheit und Integration in Baden-Württemberg berichtete aus eigener Erfahrung, dass es engagierte Einzelpersonen in Behörden und Politik für das Thema brauche. Baden-Württemberg arbeite schon seit vielen Jahren zu (digitaler) geschlechtsspezifischer Gewalt und beziehe dabei Frauenhäuser und Fachberatungsstellen aktiv mit ein. Von ihren Erfahrungen ausgehend unterstrich Dina Reis, dass es vor allem zu wenig Ressourcen im Hilfesystem gebe – deren gebündeltes Wissen aber dringend notwendig sei.
Auch das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) war durch Carolin Krohn auf dem Panel vertreten. Die Leiterin des Fachbereichs Digitaler Verbraucherschutz verweist auf die Problematik, dass der Missbrauch von technischen Geräten, Apps u.Ä. im privaten Kontext derzeit keinem politischen Zuständigkeitsbereich zugeordnet sei. Für sie sei es wichtig, dass die Öffentlichkeit mehr über das Thema erfährt, um auch im BSI dafür zu werben, digitale Gewalt in (Ex-)Partnerschaften anzugehen.
Praxisimpulse und Themen-Tische
Am Nachmittag haben sich die Teilnehmenden auf sechs verschiedene Praxisimpulse verteilt. Externe sowie FHK-Referent*innen gaben dort beispielsweise Input zu Beweissicherung bei digitaler Gewalt oder stellten die App „AirGuard“ vor, mit dessen Hilfe Tracker gefunden werden können. Zudem berichtete das Anti-Stalking-Projekt von EWA e.V. über deren Erfahrungen in Berlin, während eine weitere Austauschrunde sich der Beratung zu digitaler Gewalt von mehrfachdiskriminierten Betroffenen widmete.
Gemeinsam mit den Referent*innen haben die Workshop-Teilnehmenden jeweils drei politische Forderungen zu ihren spezifischen Themen formuliert: Die Fachpraxis im Frauengewaltschutz braucht dringend mehr personelle, zeitliche und finanzielle Ressourcen für Fortbildungen sowie die immer komplexer werdende Beratungen. Zumindest die telefonische IT-Beratung, die im Rahmen des FHK-Projekts für mehrere Frauenhäuser zur Verfügung stand, sollte weiterbestehen, forderten die Fachtags-Teilnehmenden.
Zudem muss das Problem der digitalen (Ex-)Partnerschaftsgewalt von Polizei und Justiz ernst genommen werden –hierfür fordern die Teilnehmenden verpflichtende Weiterbildungen. Darüber hinaus muss die Forschung sowie Prävention und Bildung viel stärker als bisher in den Blick genommen und vorangetrieben werden.
Anschließend konnten sich die Fachtags-Teilnehmenden an Thementischen bzw. online in digitalen Breakout-Räumen zu verschiedenen Fragestellungen austauschen, beispielsweise darüber, wie Beratung sich zwischen digitaler Sicherheit und Selbstbestimmung verorten kann, wie mit Hochrisikofällen im Kontext digitaler Gewalt umgegangen wird oder was es bräuchte, um intersektionalen Aspekten bei digitaler (Ex-) bedarfsgerecht zu begegnen.
Zum Abschluss des Fachtags gab es für die Teilnehmenden vor Ort und online exklusiv einen ersten Einblick in das neue FHK-Fachkräfteportal „Sicher gegen digitale Gewalt“, das am 6. November 2025 online geht. Es wird als zentrale Anlaufstelle für Fachkräfte in Frauenhäusern und Fachberatungsstellen fungieren, die mit Betroffenen digitaler Gewalt im sozialen Nahraum arbeiten. Die Fachkräfte werden dort umfassende Unterstützung in Form von Fachwissen, Praxistipps und Arbeitsmaterialien erhalten.
Das Team von Frauenhauskoordinierung e.V. bedankt sich sehr herzlich bei allen, die am Fachtag „Handlungssicher gegen digitale Gewalt mitgewirkt und teilgenommen haben!
Fotos: Marlene Pfau