Berlin, 17.10.2022. Das vom Europarat beauftrage Expert*innengremium GREVIO bescheinigt Deutschland zahlreiche erhebliche Lücken beim Schutz von Frauen vor Gewalt. In seinem am 07. Oktober 2022 erschienenen Bericht wertet das Gremium die Umsetzung der Istanbul-Konvention in Deutschland aus und bestätigt: Deutschland erfüllt zahlreiche Anforderungen des seit 2018 rechtskräftigen Abkommens nicht. Frauenhauskoordinierung e. V. (FHK) fordert die Bundesregierung dazu auf, die Empfehlungen des Gremiums zeitnah umzusetzen und umfassende Maßnahmen zu ergreifen, um wirksam gegen Gewalt an Frauen vorzugehen.
So kritisiert das Expert*innengremium u.a. das Fehlen einer langfristigen, umfassenden Strategie gegen Gewalt an Frauen sowie einer nationalen Koordinierungsstelle für entsprechende Maßnahmen. Zudem diagnostiziert der Bericht einen beachtlichen Mangel an Schutzplätzen in Frauenhäusern und unterstreicht, dass großen Gruppen Gewaltbetroffener der Zugang zu Schutz durch die unzuverlässigen und uneinheitlichen Finanzierungswege des Hilfesystems versperrt wird.
„Zahlreiche Analysen des GREVIO-Berichts bestätigen Probleme, auf die Frauenhauskoordinierung und das Bündnis Istanbul-Konvention bereits seit Jahren hinweisen. Umso wichtiger ist, dass nun auch der Europarat dringend anrät, die Diskussion über einen bundesweiten Rechtsanspruch auf Schutz und Hilfe bei Gewalt voranzubringen“, so FHK-Vorstandsvorsitzende Katrin Frank.
Als besonders problematisch hebt GREVIO zudem hervor, dass Umgangs- und Sorgerechtsentscheidungen in Deutschland immer wieder die Sicherheit von gewaltbetroffenen Frauen und ihren Kindern gefährden. Es müsse, so die Einschätzung des Expert*innengremiums, bei allen beteiligten Berufsgruppen (ob Polizei, Justiz oder Jugendamt) wie auch in der Gesellschaft dringend ein umfassenderes Verständnis für die systematischen Zusammenhänge geschlechtsspezifischer Gewalt und der Dynamiken von häuslicher Gewalt geschaffen werden. Empfohlen wird darüber hinaus, auch in Gesetzestexten geschlechtsspezifische Dimensionen von Gewalt nicht durch geschlechtsneutrale Formulierungen unsichtbar zu machen, sondern die gesellschaftlichen Entstehungsbedingungen von Diskriminierung und Benachteiligung ausdrücklich anzuerkennen.
Lobend hingegen erwähnt der Bericht neben dem Gewaltschutzgesetz auch strafrechtliche Maßnahmen gegen digitale Gewalt oder im Sexualstrafrecht.
„Gerade vor dem Hintergrund der mangelhaften Prävention können wir uns diesem Lob allerdings nur bedingt anschließen: Strafrechtliche Maßnahmen stehen immer am Ende der Interventionskette und verhindern die Gewalt nicht“, erklärt Katrin Frank. „Außerdem sehen wir genau wie GREVIO ein enormes Defizit bei der Umsetzung vieler Gesetze. Wie wirksam Schutz vor Gewalt ist, bemisst sich nun einmal nicht primär am Papier, sondern daran, ob er für alle Betroffenen gut zugänglich und durchsetzbar ist. Und da hat Deutschland, das zeigt der GREVIO-Bericht mehr als deutlich, erheblichen Verbesserungsbedarf.“