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Appell an 47 Staaten des Europarats Giffey ruft zu Kampf gegen Gewalt gegen Frauen auf

Es war das erste rechtsverbindliche Instrument, um Frauen international vor Gewalt zu schützen: Doch zehn Jahre nach der Annahme der Istanbul-Konvention sind Frauenrechte in vielen Staaten unter Beschuss.
Bundesfrauenministerin Franziska Giffey

Bundesfrauenministerin Franziska Giffey

Foto: Frederic Kern / imago images/Future Image

Zum zehnjährigen Jubiläum der Istanbul-Konvention hat Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) die 47 Mitgliedstaaten des Europarats aufgerufen, die Rechtsnorm zu ratifizieren. In einem gemeinsamen Schreiben Giffeys mit der Generalsekretärin des Europarats Marija Pejčinović Burić heißt es: »Für die nächsten zehn Jahre – und wir hoffen deutlich früher – setzen wir das Ziel, dass alle Mitgliedstaaten des Europarats Vertragsstaaten dazu werden.« An Gegnern des Abkommens übte Giffey scharfe Kritik.

Die Istanbul-Konvention ist dem Europarat zufolge das erste internationale rechtsverbindliche Instrument, das einen umfassenden rechtlichen Rahmen zum Schutz von Frauen vor jeglicher Form von Gewalt schafft – von Vergewaltigung in der Ehe bis zur weiblichen Genitalverstümmelung. 34 Länder haben das Abkommen ratifiziert, in Deutschland trat es im Februar 2018 in Kraft.

Zehn Jahre nach Annahme der Konvention blieben aber weiterhin »Hindernisse und Herausforderungen«, sagte Giffey. Etwa sei aufgrund der Corona-Einschränkungen zuletzt ein Anstieg der häuslichen Gewalt zu beobachten gewesen. Außerdem gebe es »politische Bewegungen«, die mit »fadenscheinigen Behauptungen« gegen die Konvention mobil machten.

Von den 47 Europaratsstaaten haben nur Russland und Aserbaidschan die Konvention nicht unterzeichnet. Zahlreiche Unterzeichner haben das Abkommen aber bis heute nicht ratifiziert. Erheblichen Widerstand gibt es etwa in Ungarn, Bulgarien und der Slowakei unter Verweis auf Passagen zu Rechten sexueller Minderheiten, die angeblich gegen »traditionelle Werte« verstoßen.

Abkommen in Türkei und Polen unter Beschuss

In der Türkei werfen Frauenrechtsgruppen der Regierung vor, ein auf Basis der Ratifizierung der Konvention erlassenes Gesetz zum Schutz vor häuslicher Gewalt nicht umzusetzen. Konservative Gruppen in der Türkei behaupten, das Gesetz würde Homosexualität befördern und die Einheit türkischer Familien »zerstören«.

Bereits 2018 hatte der Europarat die Türkei für ihren Umgang mit Frauenrechten gerügt und dem Land ein »völlig verzerrtes Verständnis von Gewalt« attestiert: In der Türkei würden Vergewaltigungen oft als Verfehlungen der Frauen gesehen, die damit die Familie »entehrten«. Zuletzt wollte die AKP einen Gesetzentwurf durchbringen , in dem Kindesmissbrauch rückwirkend für straffrei erklärt wird, wenn der Täter sein Opfer heiratet.

In Polen bemüht sich insbesondere Justizminister Zbigniew Ziobro seit Jahren um eine Rücknahme der Ratifizierung der Konvention, die unter der Vorgängerregierung der amtierenden rechtskonservativen Regierung geschah. Ziobro bezeichnete das Abkommen etwa als »feministische Schöpfung zur Rechtfertigung der homosexuellen Ideologie«.

Ein Rückzug aus dem Vertrag wäre »ein schwerer Rückschlag für die Menschenrechte«, erklärte Giffey. Einziges Ziel der Istanbul-Konvention sei die »Verhinderung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt«.

Vor dem Internationalen Frauentag riefen auch andere Politikerinnen im Bundestag über die Fraktionsgrenzen hinweg dazu auf, Frauen nicht zu den Verlierern der Coronakrise werden zu lassen. Die frauenpolitische Sprecherin der Grünen, Ulle Schauws, betonte etwa: »Die Pandemie zeigt uns schmerzhaft als Gesellschaft auf, dass der Weg zu echter Gleichberechtigung noch weit ist.« Es gebe kein Erkenntnis-, sondern ein Handlungsproblem. »Was es braucht, ist eine feministische Regierung, die Gleichstellung als zentrales Demokratiethema versteht und es durchgängig im Regierungshandeln durchsetzt.«

mfh/AFP