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Diskriminierung und Gewalt gegen trans* Frauen in Deutschland

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Im Rahmen des Weltfrauentags 2021 wollen wir auch auf diesen Missstand aufmerksam machen: Trans* Personen erleben in Deutschland tagtäglich Diskriminierung und Ausgrenzung. Dabei sind es vor allem trans* Frauen, die Opfer von Hass und Gewalt werden.

Inhaltsverzeichnis

In unserer Reihe „Supporting Women“ wollen wir auf Diskriminierung, Gewalt und Hass gegen Frauen mitten unter uns hier in Deutschland aufmerksam machen. Damit ein Bewusstsein entsteht über Missstände, die leider auch 2021 immer noch an der Tagesordnung sind.

Der Begriff Transphobie ist den meisten von uns wohl schon einmal begegnet. Er beschreibt die Diskriminierung gegenüber trans* Personen – also Menschen, die sich nicht (oder nicht nur) mit ihrem bei der Geburt zugeschriebenen Geschlecht identifizieren.

Aber habt ihr schon einmal von Transmisogynie gehört? Diese Bezeichnung wurde von US-amerikanischen Autorin und Trans-Aktivistin Julia Serano geprägt und beschreibt die Diskriminierung, die speziell trans* Frauen in der Gesellschaft erleben. Der Begriff setzt sich aus den Wörtern Transphobie und Misogynie, also Frauenfeindlichkeit, zusammen.

Manch einer fragt sich vielleicht, warum es für diese Diskriminierung eines besonderen Begriffes bedarf. Der Grund ist, dass die Marginalisierung von trans* Frauen vielschichtiger ist als die Ausgrenzung, die trans* Männer erfahren, da sie nicht nur auf Transphobie beruht, sondern eben auch auf dem Glauben, Frauen seien Männern unterlegen.

Serano schreibt in ihrem 2007 erschienen Buch ‚Whipping Girl‚: „Wenn sich die meisten Witze, die auf Kosten der trans Personen gemacht werden, sich konzentrieren auf ‚Männer, die Kleider tragen‘ oder ‚Männer, die ihren Penis abschneiden lassen‘, ist das keine Transphobie – es ist Transmisogynie.“

Hinweis: Wir benutzen in diesem Artikel den Begriff Trans*. Dies ist ein Sammelbegriff, der Menschen bezeichnet, die sich nicht (oder nicht nur) mit dem Geschlecht identifizieren, was ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde. Mehr über die Begrifflichkeit erfährst du hier.

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Transphobische Diskriminierung in Zahlen

Bei einer Erhebung der EU-Grundrechteagentur aus dem Jahr 2012 gaben 58 Prozent der befragten trans* Personen aus Deutschland an, in den vergangenen zwölf Monaten diskriminiert worden zu sein. 39 Prozent gaben an, diese Diskriminierung und Ausgrenzung am Arbeitsplatz erfahren zu haben.

Auch innerhalb der eigenen Familie erleben trans* Personen Diskriminierung, was besonders für transgeschlechtliche Jugendliche, die noch zu Hause leben und von ihrer Familie abhängig sind, dramatisch sein kann.

Ein Forschungsprojekt des Deutschen Jugendinstituts wies 2015 erschreckende Zahlen auf: In einer Befragung gaben 79 Prozent der trans* Jugendlichen an, dass ihre Familie ihre Geschlechtsidentität nicht ernst genommen habe. Dabei berichten insbesondere trans* Mädchen, von ihrer Familie beschimpft und bloßgestellt worden zu sein.

Diese Art der Ausgrenzung und Gewalt in jungen Jahren hat schwere Folgen: Eine Studie, die 2018 von der American Medical Association veröffentlicht wurde, zeigt auf, dass trans* Jugendliche ein fünf- bis sechsmal höheres Suizidrisiko haben als cisgeschlechtliche Jugendliche.

Auch wichtig: Wie du richtig reagierst, wenn sich jemand als trans* outet

Auch in Deutschland leben trans* Frauen gefährlich

Vom 1. Januar 2008 bis 30. September 2019 wurden weltweit insgesamt 3.314 Mordfälle an trans* Personen registriert – in den meisten Fällen waren die Opfer trans* Frauen. Die Dunkelziffer dürfte noch viel höher sein. Diese Fälle spielen sich zwar zum Großteil in Südamerika oder den USA ab, doch auch in Deutschland fallen trans* Frauen überdurchschnittlich oft Gewaltverbrechen zum Opfer.

Ein erschreckendes Beispiel bildet der Fall einer Frau in Leipzig aus dem Jahr 2018. Die transsexuelle Studentin wurde eines Abends von einem Unbekannten angesprochen und nach ihrem Geschlecht gefragt.

Der Angreifer habe sie aufgefordert, ihren Intimbereich zu entblößen, um ihr Geschlecht zu „beweisen“. Als die 22-jährige Studentin das Gespräch beenden wollte, schlug der Täter sie ins Gesicht und brach ihr dabei das Nasenbein.

Konkrete Zahlen zu trans*feindlichen Taten in Deutschland fehlen bisher jedoch. Grund dafür ist zum einen, dass Verbrechen gegenüber trans* Personen in den Statistiken mit homophoben Vorfällen in einen Topf geworfen werden. Zudem gilt die Meldebereitschaft transphobischer Angriffe aus Angst vor der potentiellen Unwissenheit und Intoleranz seitens der Polizei und Behörden als gering.

Das umstrittene „Transsexuellengesetz“

Doch nicht nur von intoleranten Mitmenschen, sondern auch von der Gesetzgebung werden trans* Frauen Steine in den Weg gelegt: Seit 1981 gibt es das sogenannte „Transsexuellengesetz“ (TSG) in Deutschland. Allein die Jahreszahl sollte Aufschluss darüber geben, dass die Gesetzeslage für trans* Personen hierzulande einer Aktualisierung bedarf.

Das Gesetz sieht vor, dass trans* Personen zwei unabhängige psychotherapeutische Gutachten vorlegen müssen, um ihren eingetragenen Namen und ihr Geschlecht ändern zu lassen. Die meisten Krankenkassen verlangen vor einer Hormontherapie oder geschlechtsangleichenden Operation eine Psychotherapie.

Alles in allem zeigt das TSG auf, dass in Deutschland noch immer der Grundgedanke vorherrscht, dass der Mensch nicht selbst über sein Geschlechtsempfinden bestimmen darf. Die eigene Identität muss von Außenstehenden verifiziert und beurteilt werden.

Übrigens: Diese Praxis ist nicht nur psychisch belastend, sondern auch finanziell. Laut dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend dauert ein solches TSG-Verfahren bis zu zwanzig Monate und kostet durchschnittlich 1.868 Euro.

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Schützt das deutsche Gesetz trans* Personen?

In Deutschland gibt es das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG), welches es unter anderem verbietet, einen Menschen aufgrund seines Geschlechts oder seiner Sexualität im Alltag oder im Arbeitsleben zu diskriminieren. Der Schutzgrund „Geschlecht“ umfasst dabei auch trans* Personen – doch auch hier gibt es wieder einen großen Haken.

Nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs stehen trans* Personen nur dann unter dem Schutz der Antidiskriminierungsgesetzgebung, wenn bei ihnen eine vollständige hormonelle und operative Geschlechtsangleichung durchgeführt wurde oder aktuell durchgeführt wird. Trans* Menschen, die keine chirurgische Angleichung durchführen lassen, bilden eine Art Grauzone.

Wie können wir helfen?

Glücklicherweise gibt es eine ganze Reihe von Menschen und Organisationen, die Aufklärungsarbeit für mehr Toleranz gegenüber der trans* Community leisten und sich dafür einsetzen, dass die Gesetzeslage und somit das Selbstbestimmungsrecht und der Antidiskriminierungsschutz für trans* Frauen und Männer verbessert wird. Diese Organisationen gilt es zu unterstützen.

Die Deutsche Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität (dgti) bietet beispielsweise deutschlandweit Beratungsstellen für Betroffene und begleitet sie unter anderem beim „sozialen Wechsel“, der mit einem trans* Coming-out verbunden ist. Ziel der Gesellschaft ist es, nach eigener Aussage, „die Akzeptanz von Transgendern innerhalb der Gesellschaft zu fördern und deren Stigmatisierung entgegenzuwirken.“

Der Verein TransInterQueer e.V. (TrIQ) leistet ebenfalls wichtige Arbeit, die Unterstützung bedarf. Neben psychosozialer und rechtlicher Beratung beinhaltet das Angebot des Berliner Vereins verschiedene Aktivitäten und Arbeitsbereiche für trans*, intergeschlechtliche und queer lebende Menschen.

Wer weitere Informationen, Studien und Materialien zum Thema Trans* in Europa sucht, sollte auch Transgender Europe (TGEU), den Dachverband von Organisationen zu Transgeschlechtlichkeit, Transsexualität und Transidentität, kennen.

Klar ist: Es muss sich noch viel ändern. Denn für so tolerant und offen wir uns als Gesellschaft in Deutschland auch halten – wir haben noch einen langen Weg vor uns. Und zu dem kann jeder einzelne von uns mit ganz einfachen Schritten beitragen. Denn gerade zum Weltfrauentag sollten wir uns daran erinnern, dass es nicht nur cisgeschlechtliche Frauen sind, für die wir uns einsetzen müssen.

Lesetipp: Weitere Artikel aus unserer Reihe „Supporting Women“ findet ihr hier in der Übersicht. Ihr erkennt die Artikel am „Supporting Women“-Symbol im Bild.