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Frauenhäuser am Limit

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Eine junge Frau steht in einem Zimmer eines Frauenhauses in Niedersachsen, Nienburg.
In ganz Deutschland fehlen tausende Schutzunterkünfte für von Gewalt betroffene Frauen  © Foto: Peter Steffen/dpa/Montage:BuzzFeed

Frauen und Kinder sind in der Pandemie besonders bedroht, Gewalt zu erleben. Doch in Deutschland fehlen tausende Frauenhaus-Plätze. Es mangelt an Geld und die Mitarbeiterinnen sind überlastet. Eine bundesweite Recherche zeigt, was das für Betroffene bedeutet. 

Leila erinnert sich noch gut an die Nacht, in der sie Jamal das erste Mal verlassen wollte. Es ist nach Mitternacht, die Tochter Malika schläft in der Einzimmerwohnung. Jamal fährt Leila aggressiv an. Sie soll ihre Sachen packen und fortgehen, die Tochter bleibe hier. Er lässt den Pass der Tochter unter das Kissen gleiten, zieht das schlafende Kind an seine Brust. Bitte, gib mir meine Tochter, fleht Leila. Wo soll ich hin? 

Leila hat Angst. Sie packt langsam Klamotten in ihren Koffer, damit er nicht nervös wird und der Tochter etwas antut. Er steht auf, erinnert sie sich, geht zur Küchenzeile, murmelt: Jetzt weiß ich, was ich mit dir machen werde. Leila nutzt den Moment, packt die Tochter, rennt ins Bad. Sie schließt die Tür und ruft die Polizei. 

Leilas Geschichte stützt sich auf Gespräche mit ihr, einer Mitarbeiterin des Frauenhauses, einer Freundin und Angaben der Polizei und der Staatsanwaltschaft. Wir haben uns entschieden, ihren Namen zu ändern und den mutmaßlichen Täter nicht zu konfrontieren, um Leila und ihre Tochter zu schützen. 

Für Frauen, die psychische Gewalt erleben, ist es oft schwierig, die Taten zu beweisen. Es steht dann: Aussage gegen Aussage. Wir konnten die Eckpunkte von Leilas Schilderungen anhand von Gesprächen und Akten überprüfen. Ein Dokument, das BuzzFeed News vorliegt, belegt, dass es einen Einsatz der Polizei gab. Das Ermittlungsverfahren wegen Bedrohung durch den Ehemann wurde wenige Monate später eingestellt. 

So wie viele Frauen, die Gewalt erleben, schildert Leila, dass ihr Mann sie mehrfach psychisch unter Druck gesetzt, beschimpft und gedemütigt hat. 

An diesem Abend versucht die Polizei Leila und Malika in einem Frauenhaus unterzubringen. Sie soll sich dort erholen, zur Ruhe kommen, ihr Leben sortieren. 

Sachsen, Plauen: Tami Weissenberg (Deckname), Gründer des Vereins Weissenberg, sitzt in einer Schutzwohnung für männliche Opfer häuslicher Gewalt.
2019 wurden laut Kriminalstatistik mehr als 140.000 Menschen Opfer von Partnerschaftsgewalt – vier von fünf der Betroffenen waren Frauen. © Foto: Monika Skolimowska/zb/dpa/Montage:BuzzFeed

In ganz Deutschland gibt es rund 370 Frauenhäuser, in denen Frauen und Kinder unterkommen können, wenn sie Gewalt erlebt haben. Doch es fehlen tausende Plätze – sowohl nach Kriterien, die Europarat bereits 2006 aufstellte, als auch nach der Istanbul-Konvention, in der sich Deutschland dazu verpflichtet hat, Frauen besser vor Gewalt zu schützen.

Recherchen von BuzzFeed News und Correctiv.Lokal zeigen: Aktuell halten 14 Bundesländer diese Kriterien nicht ein. Über ähnlich schlechte Ergebnisse berichtete vor einem Jahr auch das Katapult-Magazin. Die aktuelle Auswertung zeigt: Nur Bremen und Berlin erfüllen die Anforderungen. Besonders schlecht sieht es im Saarland, in Sachsen und Bayern aus. 

An dem Abend, an dem die Polizei einen sicheren Unterschlupf für Leila und ihre Tochter sucht, sind alle Frauenhäuser in der Umgebung voll. Die Beamten fahren Leila zu einer Verwandten. Sie kann dort für etwa drei Wochen bleiben, dann kehrt sie zu ihrem Mann zurück. Erst mehr als ein Jahr später, als sich ihre Lage in der Corona-Krise zuspitzt, findet sie Zuflucht in einem Frauenhaus. 

Manche Mitarbeiterinnen mussten hunderte Frauen in Not abweisen

Leila ist kein Einzelfall. Eine bundesweite Recherche von BuzzFeed News und Correctiv.Lokal zeigt, wie schwer es für Frauen ist, Schutz zu finden, wenn sie Gewalt erlebt haben. Das System ist brüchig: Es fehlen Plätze, es fehlt Geld und das Personal ist oft am Limit.

Correctiv.Lokal und BuzzFeed News haben eine Umfrage unter 92 Mitarbeiterinnen aus Frauenhäusern in ganz Deutschland ausgewertet, mit einer Psychologin und mehreren Sozialarbeiterinnen gesprochen. In Hessen, NRW und Niedersachsen meldeten mehrere Häuser, dass sie über Wochen und Monate hinweg voll waren. In manchen Häusern hat Corona die Situation zusätzlich erschwert, weil es mit den Abstandsregelungen weniger Plätze gibt. Einzelne Häuser mussten im vergangenen Jahr dutzende, manchmal sogar hunderte Frauen abweisen. Nicht nur wegen Platzmangel, sondern auch wegen finanzieller Probleme: Jede zehnte befragte Mitarbeiterin gab an, dass sie schon einmal eine Frau ablehnen musste, weil das Geld für sie fehlte.

Die Mitarbeiterinnen helfen den Frauen oft, einen anderen Platz zu finden. Wenn sie Zeit haben, fragen sie selbst andere Häuser an. Wenn viel zu tun ist, geben sie den Frauen Telefonnummern. In Hamburg und Hannover gibt es eine Notaufnahmestelle, in denen Frauen zu jeder Tageszeit für ein paar Tage unterkommen können. Dort suchen die Mitarbeiterinnen nach einer Unterkunft. Eine bundesweite Koordinierung der Plätze gibt es nicht. 

Wie viele Frauen bei der eigenen Suche den Mut verlieren und beim Täter bleiben? Weiß man nicht. 

„Das fühlt sich einfach furchtbar an, dass eine Frau darum betteln muss, in einem Frauenhaus aufgenommen zu werden“, sagt die Mitarbeiterin Anja Kröber des Autonomen Frauenhauses Oldenburg im Gespräch mit BuzzFeed News. Dort mussten im vergangenen Jahr fast fünfmal so viele Frauen und Kinder abgewiesen werden, als aufgenommen werden konnten. Manche Frauen, sagt Köber, seien von so vielen Häusern abgewiesen worden, dass sie anböten, auf dem Boden zu schlafen.

„Bei den Lockerungen nach dem Lockdown war die Einrichtung wochenlang überbelegt”, sagt auch Nurdan Kaya von der Zentralen Notaufnahme Hamburger Frauenhäuser. Frauen schliefen dann im Wohnzimmer, oder auf Extrabetten. Manchmal kommen die Frauen nachts mit ihren Kindern im Pyjama, manchmal schaffen sie es, die Ausweisdokumente und ein paar Klamotten einzupacken.

Eine junge Frau sitzt am 28.08.2013 auf einer Treppe. Frauenhäuser in Sachsen sehen sich dennoch am Limit. Der Weiße Ring pocht auf eine Entschädigung für Opfer psychischer Gewalt.
Wie viele Frauen bei der Suche nach einem Frauenhausplatz den Mut verlieren und beim Täter bleiben, ist nicht bekannt. © Foto: Peter Steffen/dpa/Montage:BuzzFeed

Frauenhäuser sind nicht nur wichtig, weil Frauen dort Schutz finden können, sondern auch, weil Frauen dort Hilfe bekommen und erfahren: Ich bin mit meiner Not nicht allein. Andere Frauen haben auch Gewalt erlebt und es geschafft, sich vom Partner zu lösen. 

Viele der Frauen, die in einem Frauenhaus Schutz suchen, haben bereits jahrelange Gewalterfahrungen gemacht. 

Nachdem Leila mit ihrer Tochter für ein paar Tage bei der Verwandten untergekommen ist, beschließt sie, Ihrem Ehemann noch eine Chance zu geben. Jamal verspricht, sich zu bessern, für sie und die gemeinsame Tochter Malika. „Er hat geweint, gesagt, bitte komm zurück.“ Laila ist seit zwei Jahren mit Jamal verheiratet, aber erst vor wenigen Monaten aus Marokko zu ihm nach Deutschland gezogen. Sie hat keine Freunde hier, spricht kaum Deutsch. In allem, was sie tut, ist sie auf Jamal angewiesen: Sie kann nicht alleine Bus fahren, kein Formular alleine ausfüllen, weiß nicht, wo das nächste Krankenhaus ist. 

Das Zusammenleben verläuft in den kommenden Monaten in Phasen: Mal läuft es gut, dann beschimpft er Leila wieder als Nutte, faul, wertlos. 

Leila arbeitet als Putzhilfe in einem Klamottengeschäft, fällt die Treppe herunter und hat kurze Zeit später Blutungen. Im Krankenhaus erfährt sie, dass sie eine Fehlgeburt hat. In den kommenden Tagen ist ihr schwindelig, sie trauert und fragt sich, warum sie das Kind verloren hat. „Mir ging es nicht gut”, sagt Leila. „Aber er hat mir nicht geholfen.” Leila erinnert sich, wie er sie in dieser Zeit beschimpft, sie demütigt und ihr und der Tochter das Essen verwehrt. „Er hat gesagt, du musst arbeiten gehen, selbst das Geld verdienen, selbst kochen“, sagt Leila. Mailka und Leila sehen in der Einzimmerwohnung dabei zu, wie er sich Brote mit Käse und Mortadella schmiert, unter das Kopfkissen legt und darauf schläft. 

„Ich konnte nicht mehr”, sagt Leila. 

Aus dem Deutschkurs weiß sie, dass es Frauenhäuser gibt. Unter einem Vorwand geht sie mit Malika zu einer Nachbarin. Dort ruft sie ein Frauenhaus an. Sie bekommt einen Platz und kann mit ihrer Tochter gleich am nächsten Tag umziehen – anders, als beim ersten Versuch. 

Die Kriterien, nach denen Frauenhausplätze vergeben werden, unterscheiden sich bundesweit von Haus zu Haus. Kommt die Frau aus dem zuständigen Landkreis? Wie viele Kinder bringt sie mit? Kann Sie die Miete für den Platz selber zahlen? Bezieht sie Sozialleistungen? Kann ihre Sicherheit in diesem Haus gewährleistet werden? Läuft gerade ein Asylverfahren, kann die Frau den Wohnort überhaupt wechseln?

Diese unübersichtlichen Regelungen führen zu der absurden Situation, dass Beraterinnen Frauen abweisen müssen, obwohl sie Plätze frei haben. Und dass an der einen Stelle Plätze frei bleiben, während andere Häuser mit Überfüllung kämpfen. 

Ein Stoffteddy sitzt im Kinderbereich eines Frauenhauses in Berlin (2018)
Manchmal müssen Frauenhäuser Schutzsuchende abweisen, weil nicht genügend Plätze für ihre Kinder frei sind. © Foto: Britta Pedersen/dpa/Montage:BuzzFeed

Die Mitarbeiterinnen sind überlastet

„Bei jeder Abweisung haben wir im Kopf: Mein Gott, wenn jetzt was passiert und wir konnten das nicht auffangen“, sagt Claudia Bergelt. Sie arbeitet seit 35 Jahren im Frauenhaus Marburg. Sie erzählt, dass die Häuser sich bemühen, eine Lösung zu finden, notfalls auch viele Kilometer entfernt. „Aber es kommt vor, dass wir Frauen nicht aufnehmen können, oder dass eine Frau sagt: Ich geh aber nicht in ein Frauenhaus, wenn ich nicht in der Nähe von meiner Heimat bleiben kann.“ 

Das kann viele Gründe haben, etwa weil Freund:innen in der Nähe wohnen. Oder weil sie ihre Kinder nicht aus der Schule reißen wollen. Manchmal ist aber auch gerade das sinnvoll: ein Ortswechsel, ein Cut mit der Familie und dem Freundeskreis. Vor allem dann, wenn Morddrohungen im Raum stehen oder die Frau körperliche Gewalt erlebt hat. 

Wer in ein Frauenhaus flüchtet, hat kein soziales Netz mehr, dass ihn auffängt. Die Frauen sind oft traumatisiert, verängstigt, haben viel Mut aufgebracht, sich aus der Gewaltsituation zu lösen. 

„Wir fangen oft bei Punkt null an. Da ist das ganze Leben aus den Fugen“, sagt die Soziologin Bergelt. Die Probleme zu entwirren bedeutet nicht nur, die Frauen zu unterstützen, die Erlebnisse zu verarbeiten, sondern auch: Anträge ausfüllen, Sprachbarrieren überwinden, eine Wohnung suchen, manchmal kommen Suchtprobleme hinzu, Schulden, Traumata. „Frauen kommen sehr bedürftig zu uns. Da braucht man sehr viel Abstand, um nicht aufgefressen zu werden“, sagt sie. 

Was Claudia Bergelt schildert, erzählen viele Mitarbeiterinnen. 98 Prozent der Befragten geben an, dass es bei ihnen an Personal fehle. In den Gesprächen erzählen Beraterinnen, dass es belastend sei, Frauen zurückzuweisen, „mehr als frustrierend“, eine Mitarbeiterin fühlt sich „ausgebeutet”. Dass die Suche nach geeigneten Plätzen viel Zeit und Nerven raubt, die sie eigentlich für die Betreuung der Frauen und Kinder benötigen. Dass sie mehr Unterstützung bräuchten vom Staat: einen festen Rechtsanspruch auf einen Platz für alle Frauen, ohne Ausnahmen, feste Zusagen, mehr Geld. 

Und sie beschreiben, dass sobald ein Platz gefunden ist, die Probleme nicht aufhören: Sie gehen erst richtig los.

Die Finanzierung von Frauenhäusern gleicht einem Flickenteppich

Das Leben im Frauenhaus muss man sich wie eine große WG vorstellen. Frauen leben in Einzel- oder Doppelzimmern. Dusche, Bad und Küche werden oft zu mehreren geteilt. Am Anfang ist das für viele Frauen eine große Hilfe. Sie sind unter Gleichgesinnten, tauschen sich aus und sehen: Ich bin mit meinem Problem nicht allein.

Doch der Alltag der Frauen ist mühsam. Es treffen Personen mit unterschiedlichen sozialen und kulturellen Hintergründen auf engstem Raum aufeinander. Manche Frauen mussten ihre Jobs für den Umzug aufgeben. Manche sprechen kein Deutsch, wieder andere führen Prozesse um das Sorgerecht der gemeinsamen Kinder. Es müssen Behörden und Kitas, Rechtsanwältinnen, Psychologinnen und Dolmetscherinnen kontaktiert werden. 

Eine Frau sitzt in einem Frauenhaus auf einem Bett.
Im Frauenhaus müssen die Frauen sich mit anderen Familien arrangieren, doch sie finden auch Halt © Foto: Maja Hitij/dpa/Montage:BuzzFeed

Die Finanzierung von Frauenhäusern gleicht einem Flickenteppich. Mal ist der Aufenthalt kostenlos, so wie in Schleswig-Holstein, mal müssen die Frauen selber monatlich Geld für die Unterkunft und Betreuung zahlen. Im Monat kommen so schnell mehrere hundert Euro Kosten zusammen. Für manche Frauen übernimmt das Jobcenter die Kosten, doch andere fallen völlig aus dem System: Rentnerinnen, Auszubildenden oder Studentinnen zum Beispiel – oder Frauen ohne gesicherten Aufenthaltsstatus.

„Wir haben auch schon Studentinnen gehabt, wo die Freundinnen zusammengekratzt haben“, sagt die Mitarbeiterin eines Frauenhauses in Hessen, die anonym bleiben möchte, weil sie arbeitsrechtliche Probleme befürchtet. Es habe Fälle gegeben, wo sie nach der dritten Mahnung nicht mehr nachgefragt hätte, obwohl sie dazu verpflichtet gewesen wäre. „Es fühlt sich falsch an, einer Studentin, die Gewalt erlebt hat, wegen 2000 Euro hinterherzurennen.“ An manchen Tagen sei sie fast ununterbrochen mit der Existenzsicherung der Frauen beschäftigt, erzählt die Mitarbeiterin im Gespräch mit BuzzFeed News. Zwar hat sie eine Fortbildung in Traumaberatung, aber ihr fehlt oft die Zeit, um den Frauen zuzuhören.

Nicht nur den Häusern fehlt Geld. Manche Frauen haben weder Bargeld noch Zugriff auf ein Konto. „Um das mal ganz klar zu sagen: Es passiert bei uns häufig, dass ich in den ersten Wochen gucke: Wovon kauft sich die Frau und ihren Kindern das Essen?“, sagt die Mitarbeiterin aus Hessen. „Wir haben keinen Nottopf hier, wo ich einfach mal sagen kann: Ich sehe, das ist gerade so schwierig, nimm mal die 100 Euro.“ Stattdessen versuche sie, über Tafeln an Lebensmittel zu kommen. „Das ist immer wieder ein verdammter Aufwand.“ 

Etliche Mitarbeiterinnen gaben in der Umfrage an, dass die mangelnde Finanzierung ein Problem bei ihrer Arbeit sei. Die Häuser werden von Trägern, Kommunen und den Ländern finanziert. Teilweise muss diese Förderung jährlich beantragt werden. Auch das ist Aufgabe der Mitarbeiterinnen. Weil das Geld trotzdem nicht reicht, werben viele um Spenden. „Ein immer größer werdender Anteil unserer Arbeitszeit fließt in die Sicherstellung von existenzsichernden Mitteln“, sagt die Psychologin aus Hessen. 

Die Zentrale Informationsstelle Autonomer Frauenhäuser (ZIF) fordert eine bundesweit einheitliche Finanzierung. Jede Frau soll aufgenommen werden können, ohne Ausnahmen und Sonderregelungen. „Wir wollen eine bundesweit einheitliche Finanzierung, dass ein Teil vom Bund kommt, von der Kommune, vom Land. Das wir frei entscheiden können, wen nehmen wir auf”, sagt Britta Schlichting. Auch die Suche nach einem Platz soll für Frauen leichter werden. Die ZIF arbeitet derzeit an einer Webseite, auf der ein deutschlandweites Ampelsystem alle freien Frauenhausplätze anzeigen soll – finanziert durch Spenden.

Corona hat die Situation weiter erschwert

Der prekäre Zustand in den Frauenhäusern hat sich durch die Corona-Krise noch verschärft. Mehr als jede vierte Mitarbeiterin gab in der Umfrage an, dass im Vergleich zum Vorjahr mehr Frauen Schutz bei ihnen suchten. Manche der Häuser haben Quarantäne-Wohnungen angemietet, andere können aufgrund der Abstandsregeln nicht alle Betten belegen. Einige Mitarbeiterinnen berichten, dass die Gewalt gegen Frauen zugenommen habe. Einer Studie der TU München zufolge wurden drei Prozent aller Frauen in Deutschland während des Lockdowns Opfer häuslicher Gewalt. Mehr als doppelt so hoch war die Zahl, wenn sich die Frauen in Quarantäne befanden oder die Familien finanzielle Sorgen hatten. Um die Auswirkungen der Pandemie auf Gewalterfahrungen von Frauen und Kindern abschließend bewerten zu können ist weitere Forschung nötig. 

Gleichzeitig bekommen die Häuser in der Pandemie mehr Unterstützung: Einige Bundesländer haben Soforthilfen eingerichtet, Länder und Kommunen schießen Geld zu. Und auch der Bund stellt ein Förderprogramm mit 120 Millionen zur Verfügung. 

Die Situation in den Frauenhäusern ist durch das Virus trotzdem schwieriger geworden. „Wir müssen die Frauen und Kinder schützen. Wir müssen verhindern, dass das Virus durch die Bewohner:innen selbst, aber auch durch die Mitarbeiterinnen ins Haus geschleppt wird. Deshalb hat das Team zunächst in Wechselschicht gearbeitet. Alle machen alles“, sagt Ortrud Glowatzki aus dem Frauen- und Kinderhaus Lüchow in Niedersachsen. Auch sie muss Frauen regelmäßig abweisen, während der Pandemie noch häufiger. Allein im ersten Halbjahr 2020 waren es dutzende Frauen und Kinder – die verfügbaren Betten im Haus waren durchgängig voll belegt. Der Verwaltungsaufwand enorm: Vor der Aufnahme müssten negative Tests vorliegen, Quarantänezeiten eingehalten werden, Behörden sind schwer erreichbar. 

Und noch ein Problem zeigt sich während der Pandemie deutlicher als zuvor: Frauen finden keinen bezahlbaren Wohnraum, wenn sie zurück in ein eigenständiges Leben wollen.

Eine Frau blickt in einem Frauenhaus aus dem Fenster.
Eine Frau blickt in einem Frauenhaus in Berlin aus dem Fenster © Foto: Sophia Kembowski/dpa/Montage:BuzzFeed

Frauen bleiben Wochen oder Monate in den Frauenhäusern wegen der Wohnungsnot

„Viele Frauen bei uns könnten nach einem halben Jahr schon ausziehen, aber es gibt keinen Wohnraum. Sie bleiben dann monatelang hier mit ihren Kindern. Das ist für die Frauen belastend, gleichzeitig fehlen diese Plätze für andere Frauen“, sagt Hilke Dröge-Kempf, die im Autonomen Frauenhaus Frankfurt arbeitet. Dort ist es besonders kompliziert. In Frankfurt können sich Frauen nur auf eine Sozialwohnung bewerben, wenn sie ein Jahr vor Ort gewohnt haben. Ein großer Teil der Frauen kommt aber aus anderen Gemeinden. Sie brauchen Abstand vom Täter. Viele sind auf Sozialleistungen angewiesen oder haben mit dem Umzug ihren Job verloren. Sie können sich keine teure Wohnung leisten. Was Dröge-Kempf helfen würde: Ein Prozentsatz öffentlich geförderter Wohnungen, die für Frauen in Not reserviert sind. „Das Platzproblem in Frauenhäusern ist vor allem ein Wohnungsproblem“, sagt die Beraterin.

In ländlichen Regionen ist es leichter, eine bezahlbare Wohnung zu finden. Leila kann nach bald in eine eigene Wohnung ziehen. Sie hat viele Pläne für die Zukunft. Sie will noch besser Deutsch lernen, sich eine neue Arbeit suchen, gerade absolviert sie einen Computerkurs zu e-health. Die Zeit im Frauenhaus hat sie gestärkt. „Die Mitarbeiterinnen haben immer gesagt: Du schaffst das“, sagt Leila. Das hat ihr Mut gemacht. Sie hat hier Freundinnen gefunden und eine neue Perspektive. Als Leila ins Frauenhaus kam, hatte sie kaum soziale Kontakte in Deutschland, sie konnte sich ein Leben allein mit ihrer Tochter nicht vorstellen. Jetzt freut sie sich auf ein eigenständiges Leben. 

Am Tag ihres Umzuges in eine eigene Wohnung schickt sie uns den Brief, den sie den Mitarbeiterinnen des Frauenhauses zum Abschied geschrieben hat. Darin heißt es: „Der Tag ist gekommen, an dem ich mich von diesem schönen Haus verabschieden werde. Wieder mussten wir – ich und meine kleine Tochter – weg gehen. Aber heute weiß ich: wohin.”

Diese Recherche ist Teil einer Kooperation von BuzzFeed News mit CORRECTIV.Lokal, einem Netzwerk für Lokaljournalismus, das datengetriebene und investigative Recherchen gemeinsam mit Lokalredaktionen umsetzt. CORRECTIV.Lokal ist Teil des gemeinnützigen Recherchezentrums CORRECTIV, das sich durch Spenden von Bürgern und Stiftungen finanziert. Alle Veröffentlichungen von allen Medien zum Thema: correctiv.org/haeusliche-gewalt

Zahlen und Fakten zu Frauenhäusern im Überblick:

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