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Frauenhäuser seit Corona wichtiger denn je – In Gießen sind sie ständig belegt

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Eine Frau kauert sich in einem Zimmer auf dem Boden sitzend zusammen, hält sich den Kopf mit ihren Händen. Im scharfen Bildvordergrund ist ein Mann von hinten zu sehen. Er steht zur kauernden Frau gewandt und ballt die Faust seines rechten Arms. (Symbolbild)
Am heutigen Mittwoch ist der Internationale Tag gegen Gewalt an Frauen. (Symbolbild) © Siggi Klingelhoefer

Viele Anfragen und selten freie Plätze. Am Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen erklären die Gießener Frauenhäuser ihre Lage. Die Nachfrage ist schon vor der Pandemie hoch gewesen.

Gewalt gegen Frauen hat viele Gesichter; Oft sind es die ihrer eigenen Partner. Wer vor dem Lebensgefährten flieht, kann in Frauenhäusern Schutz suchen. In Gießen gibt es zwei davon, aber freie Plätze sind selten. Das wissen auch Stephanie Riehm vom Frauenhaus des Sozialdienstes katholischer Frauen (SkF) und Kerstin Pfeiffer vom Autonomen Frauenhaus. »Corona ist nicht die Ursache von häuslicher Gewalt. Höchstens ein Brandbeschleuniger«, sagt Riehm anlässlich des heutigen Internationalen Tages gegen Gewalt an Frauen*. Doch ist die Situation wegen der Corona-Pandemie schlimmer geworden? Dort, wo es während der Pandemie zu Gewalt kam, habe es schon vorher Probleme gegeben, sagen die Expertinnen. Diese Erfahrung hat auch Pfeiffer in ihren Beratungsgesprächen gemacht: »Die Gewalt kocht wegen Corona vielleicht über, aber sie war vorher schon da.«

Im Moment leben drei Frauen mit fünf Kindern im Frauenhaus des SkF. »Damit sind unsere acht Plätze belegt«, sagt Riehm. Die 16 Plätze des Autonomen Frauenhauses seien auch alle besetzt, ergänzt Pfeiffer. Aber das ist schon vor Corona so gewesen. Mangel an Räumen und Personal, das sind keine neuen Probleme von Frauenhäusern.

Schutzsuche vor den Tätern: Corona für betroffene Frauen oft zusätzliche Hürde

Und doch hatte Corona Auswirkungen. »Wir konnten sehen, dass während des ersten Lockdowns die Nachfrage nach Plätzen in Hessens Frauenhäusern sank«, berichtet Riehm. Danach stand das Telefon nicht mehr still. Riehms Vermutung: Die Frauen konnten während des Lockdowns nicht fliehen. »Ich kann ja nicht bei einem Frauenhaus anrufen, während mein Mann daneben steht.« Eine Frau habe zum Beispiel erzählt, dass sie wegen der geschlossenen Kitas erst nach dem Lockdown eine Chance zu fliehen hatte. Dazu kommt laut Pfeiffer: »Corona ist eine Zeit großer Verunsicherung und damit eine zusätzliche Hürde für Frauen, den Täter zu verlassen.«

Schon am Anfang des Jahres gab es die Befürchtung, dass Corona zu einem Anstieg von häuslicher Gewalt führen werde*. Deswegen wurde bei der Stadt ein Corona-Fonds eingerichtet. Mit den Geldern sollte schutzsuchenden Frauen ein Hotelzimmer bezahlt werden, wenn das Frauenhaus keinen freien Platz hat. Das Frauenhaus des SkF hat das Angebot nur einmal in Anspruch genommen. Das lag aber nicht daran, dass es keine Nachfrage gab. Ganz im Gegenteil: Bis jetzt musste die Einrichtung in diesem Jahr 101 Frauen mit 134 Kindern ablehnen, sagt Riehm. Die zusätzliche Betreuung im Hotel sei eine Herausforderung für das Frauenhaus, wenn es selbst bereits voll ausgelastet ist.

Frauen vor Gewalt schützen: Vom Frauenhaus ins Hotel

Das Autonome Frauenhaus hat das Angebot sechsmal in Anspruch genommen, bis es auf ein anderes Problem gestoßen ist: »Die Hotels sind abgesprungen.« Über die Gründe kann Pfeiffer nur mutmaßen: Vielleicht sind die Kinder zu unruhig und andere Gäste fühlten sich gestört. »Es sind eben nicht die üblichen Hotelgäste.«

Die Frauen im Frauenhaus stammen dabei aus allen sozialen Schichten und Kulturen, sagt Riehm. Ihre Probleme seien sehr unterschiedlich. Es gebe in manchen Familien Zwangsheiraten und Gewalt wegen »Ehrverletzungen«. Auffällig seien aber auch Täter, die sich gut mit der Rechtslage auskennen. Riehm sagt: »Gewalttätige Polizisten, Anwälte oder Professoren wissen, wie sie sich nach außen verkaufen müssen.« Deren Frauen werde selten geglaubt, weil sie keine blauen Flecken haben.

Frauenhäuser in Gießen wünschen sich verlässliche Finanzierung

Zu ihren Klientinnen gehören auch Studentinnen. »Bei denen ist das Problem, dass sie keinen Anspruch auf Sozialleistungen nach dem Sozialgesetzbuch II haben.« Und mit Sozialleistungen werde in der Regel der Platz im Frauenhaus bezahlt. Die Lösung bestehe oft darin, dass sie ihr Studium unterbrechen müssen. Der Schritt, ins Frauenhaus zu gehen, fällt so nicht leicht. »Die Frauen haben immer eine starke Entscheidung getroffen, wenn sie ihren Gewalttäter verlassen«, sagt Pfeiffer.

Riehm hat den Eindruck, dass das Thema Gewalt an Frauen zur Zeit stärker diskutiert werde. Sie wünsche sich, dass jetzt endlich alle Landkreise anfangen, Frauenhäuser verlässlich zu finanzieren. Pfeiffer betont, dass es damit aber nicht getan ist: »Unser Ziel ist, dass es keine Frauenhäuser mehr gibt; Weil keiner sie mehr braucht.« (Sebastian Schmidt) *FR.de ist Teil des bundesweiten Ippen-Redaktionsnetzwerks

Aktionen in Gießen zum Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen

Die Interventionsstelle des SkF verteilt bis 27. November 500 »Wegweiser-Tütchen« mit Informationen zum Frauenhaus und der Beratungsstelle. Der Zonta Club Burg Staufenberg-Gießen lässt drei Monate einen orangefarbenen Bus mit den Telefonnummern der Frauenhäuser durch Gießen fahren. Die Soroptimistinnen bekleben u.a. die Glasscheiben des Rathauses und wollen den Schiffenberg drei Tage lang orange anstrahlen.

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