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Bis dass der Tod euch scheidet

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Eine von „diesen Frauen“.
Eine von „diesen Frauen“. © Getty Images

„Warum bist du nicht einfach gegangen?“ – Wer Opfern von häuslicher Gewalt Fragen wie diese stellt, hat nichts verstanden. Sagt Antje Joel. Sie weiß, wovon sie spricht.

Ich bin eine von „diesen Frauen“. Eine von den Frauen, die sich von ihrem Partner „haben schlagen lassen“. Das ist in Deutschland jede dritte Frau. Ich bin eine von ihnen. Eine von zwölf Millionen Frauen. Und wenn wir es mal wagen, unsere Geschichte zu erzählen, sitzen uns die ordentlichen Mitbürger, diejenigen, denen „so etwas niemals passieren würde“, sei es als Opfer oder als Täter, stirnrunzelnd gegenüber und klagen: „Warum?“

„Warum hast du dir das gefallen lassen?“ – „Wie bist du da hingeraten?“ – „Warum bist du nicht gegangen?“ Das sind die Fragen, die wir den Opfern stellen. Mit denen wir ihnen die Verantwortung für die erlebte Gewalt übertragen. Mit denen wir den Fokus verschieben und das Bild häuslicher Gewalt verzerren. Diese Fragen vermitteln alle die gleiche Botschaft: „Das Problem sind die Frauen, die sich misshandeln lassen!“

Ich war 16 Jahre alt, als ich meinen Mann traf. Er war 26. Gut aussehend, bestens gekleidet, witzig, charmant. Er war auch bei seinen Freunden, Arbeitskollegen und Fußballkumpels sehr beliebt. Ich hatte mir „keinen Schläger gesucht“. Wie es den Frauen so oft vorgeworfen wird. Ich habe in meiner Ehe mit P. nicht „um Prügel gebettelt“, wie meine Mutter höhnte. Und ganz sicher habe ich die Prügel nicht „genossen“.

Ich gehe auch nicht davon aus, dass die Millionen anderen Frauen weltweit es genießen, von ihren Partnern verhöhnt, verlacht, erniedrigt, geschlagen, getreten, verbrüht, verbrannt, gewürgt und/oder vergewaltigt zu werden. Das zu unterstellen, ist eine weitere Art der Schuldzuweisung und Erniedrigung der misshandelten Frau.

Solche „Vermutungen“, die auf verächtlichen und den gefährlichsten Mythen und Vorurteilen beruhen, die unsere Gesellschaft Frauen entgegenbringt („Frauen genießen es, wenn einer sie mal richtig rannimmt“, „Frauen finden Vergewaltigung geil“), treiben die misshandelten Frauen weiter in die Isolation. Und gefährden sie in der Folge an Leib und Leben.

Der Forensiker Evan Stark vergleicht die Gewalt, die Männer an ihren Partnerinnen verüben, mit der Gewalt von Kidnappern gegenüber ihren Geiseln. Er fordert, diese Gewalt in ihrer „Generalität“ zu sehen, um ihre Dimension zu erkennen und ihre komplexe Wirkung zu begreifen. Statt nur die Spitze des Misshandlungs-Eisbergs – Schläge und andere körperliche Verletzungen – zur Kenntnis zu nehmen, müssen wir bereit sein und lernen, auch die subtilen Formen der Gewalt zu erkennen.

Mein dominierendes Lebensgefühl mit P. war Angst. Ich fürchtete mich. Tag für Tag. Ich weiß nicht, ob mir das damals bewusst war. Ich glaube nicht. Ich kann mir nicht vorstellen, wie ich fünf Jahre – mit Unterbrechungen – überlebt hätte in andauernder, panischer, bewusster Angst.

Ich glaube, ich überlebte, indem die Angst zu einem Teil von mir wurde. In den Prügelphasen fürchtete ich mich vor P. und seinen Schlägen und Tritten. Ich fürchtete mich vor den Nachbarn, vor ihrem Klopfen gegen die Zimmerdecke. Ich fürchtete mich vor der Polizei, die jemand rufen könnte. Und der ich mich dann erklären müsste.

Wenn ich, was gemessen an der Häufigkeit seiner Prügel selten genug vorkam, selbst andere um Hilfe anrief – meine Eltern, das Frauenhaus, und, einmal, die Polizei – , fürchtete ich mich vor Stirnrunzeln und Kopfschütteln. Vor der ewig gleichen Frage: „Warum?!“ – Warum, verflucht nochmal, ließ ich mir das gefallen? Was war los mit mir? Was tat ich nur, um ihn zu „provozieren“?

In den Ruhephasen, die keine waren, fürchtete ich mich davor, dass „es wieder losgeht“. Ich hielt nach den Anzeichen dafür Ausschau, nach Veränderungen in kleinsten Nuancen. Ich nahm Witterung auf, wie ein verschrecktes Tier. Ich wachte furchtsam über die Art, wie er sprach, wie er lachte, wie er sich bewegte. Ich versuchte, meinen Tonfall, meine Worte, mein Lachen, mein Verhalten dem seinen anzupassen. Manchmal sah ich den Angriff kommen. Öfter sah ich es nicht. Abwenden konnte ich ihn nie.

Gewalttätige Männer verfolgen mit den verschiedenen Formen ihrer Gewalt dieselben drei Hauptziele wie ‚offizielle‘ Geiselnehmer. Auch ihr Handeln ist in seiner Komplexität darauf ausgerichtet, das Opfer zu bestrafen, zu verletzen und/oder zu kontrollieren. Der politisch motivierte Terrorist, Geiselnehmer, Folterer allerdings, und das ist der entscheidende Unterschied, kennt seine Geisel meist nicht persönlich. Er hat kein persönliches Interesse an ihr und an ihrer Zerstörung. Seine Foltermethoden, wie und mit welchen Mitteln er sein Opfer quält, haben allgemeinen Charakter.

„Prügel“ von Antje Joel.  Taschenbuch, Rowohlt Verlag, Hamburg, 336 Seiten, 12 Euro.
„Prügel“ von Antje Joel.  Taschenbuch, Rowohlt Verlag, Hamburg, 336 Seiten, 12 Euro. © -

Er fügt dem Opfer Schmerzen zu. Er bedroht es. Er entzieht ihm Nahrung und/oder Wasser. Er terrorisiert es mit minimalistischen, aber über Stunden und Tage kontinuierlich wiederholten Mitteln, wie bei der chinesischen Wasserfolter. Diese Qualen finden in den meisten Fällen außerhalb des Zuhauses und immer losgelöst vom Alltag der Geisel statt. Sie stehen in keiner Verbindung zu den Personen, denen sie vertraut.

Zwangskontrolle, als eine Form der Gewalt von Männern gegen ihre Partnerin, ist dagegen persönlich. Sie ist gegen die Person und ihre Persönlichkeit gerichtet. Der Täter kennt die Sehnsüchte und Ängste seiner Partnerin. Sie wird ihm, wie in intimen Beziehungen üblich, ihre ‚Geheimnisse‘ anvertraut haben. Erlebnisse, die sie geprägt haben. Er kennt ihre Schwächen.

Evan Stark erzählt von einer Klientin, deren Mann sich im Kleiderschrank zu verstecken pflegte und, wenn seine Frau ins Zimmer trat, heraussprang, um sie zu erschrecken. Wenn sie in Tränen ausbrach, gab er sich gekränkt. „Es ist doch nur Spaß!“ Dieser Mann wusste, dass der Onkel seiner Frau ihr, als sie noch ein Teenager war, im Kleiderschrank aufgelauert hatte, bevor er sie vergewaltigte.

Von ihrem Partner misshandelte Frauen erleben die Gewalt zu Hause. In einem Bereich, den wir allgemein als unsere sichere Zone sehen. Als unsere Zuflucht. Dieser intime, alles beherrschende Terror hat eine eigene Qualität. Er dämpft das Gespür für die eigenen Bedürfnisse, Wünsche, für die eigene Sicherheit. Er verzerrt die Realität. Er verkehrt Normalität und Wahnsinn. Er bricht den Willen des Opfers und löscht seine Persönlichkeit aus.

Warum gehen die Frauen nicht einfach?

Von der psychologischen Geiselhaft, in die der Täter sie nimmt, mal abgesehen: Wohin sollen sie denn gehen? Als Deutschland im Oktober 2017 die Istanbuler Konvention zum „Schutz von Frauen gegen Gewalt“ ratifizierte – fünf Jahre nach dem ersten Land, der Türkei, und vier Jahre nachdem Albanien, Italien, Montenegro, Serbien, Bosnien und Herzegowina, Portugal und Österreich sie ratifiziert hatten – verpflichtete sich die Bundesregierung unter anderem, ausreichend oder doch wenigstens sehr viel mehr Frauenhausplätze zur Verfügung zu stellen.

21 000 Plätze müssten es bundesweit sein. Auch zwei Jahre nach Ratifizierung des Vertrages stehen gerade mal 7000 zur Verfügung. Täglich müssen hilfesuchende Frauen abgewiesen werden. Auch solche, die – zu Recht – um ihr Leben fürchten. Jeden Tag versucht allein in Deutschland ein Mann, seine Partnerin zu ermorden. Nahezu jeden zweiten Tag ist einer erfolgreich.

Die Bundesfrauenministerin Franziska Giffey hat für die kommenden drei Jahre 120 Millionen zusätzlich für den Ausbau von Frauenhäusern und Beratungsstellen zur Verfügung gestellt. Im November vergangenen Jahres ging die Initiative des Ministeriums „Stärker als Gewalt“ online. In ihrer Videobotschaft verspricht die Ministerin, in Zusammenarbeit mit Bund, Ländern und Gemeinden das Hilfsangebot für die Opfer „deutlich zu verstärken und zu verbessern“. „Ich will, dass die Betroffenen die Hilfe bekommen, die sie benötigen, um sich von Gewalt zu befreien“, sagte sie.

All den zusätzlichen Millionen zum Trotz: Das klingt und liest sich wie immer. Als glaube der Staat, er habe seine Schuldigkeit getan. Er hat versprochen, den Opfern mehr Zufluchtsorte zur Verfügung zu stellen. Er hat Gesetze gegen die Gewalt erlassen. Und er droht im Fall des Nichtbefolgens mit Strafe. Damit muss es gut sein. Jetzt ist es an den potenziellen Opfern, sich zu schützen („Schützen Sie sich!“, fordert das Bundesministerium) oder, wenn sie das nicht hinbekommen, dann müssen sie sich eben von der Gewalt befreien und sie anzeigen. Der Staat macht dann gegebenenfalls den Rest.

Das ist wie auf einem alten Poster des Satire-Magazins „Titanic“. Darauf war ein Wald zu sehen und darüber der Schriftzug „Endlich! Die Bundesregierung tut etwas gegen das Waldsterben!“ An einem der Bäume hing ein Schild: „Waldsterben verboten! Die Bundesregierung“. Das ist mehr als 30 Jahre her, und, sieh an, die Bäume sterben immer noch. Und Männer schlagen noch immer ihre Partnerinnen. Obwohl das Gesetz dagegen doch lange schon Realität, kein „Titanic“-Witz ist.

Die „Zeit“ schrieb kürzlich über eine Berlinerin, die auf Entschädigung klagt, weil ihr Partner sie schwer verletzt hat. Die Entschädigung wurde ihr bis dahin verwehrt. Mit ihrem Verbleib in der Beziehung habe sie die Gewalt selbst verantwortet. Das ist deutsche Rechtsprechung im Jahr 2019. Während die Bundesfrauenministerin im Rahmen ihrer Anti-Gewalt-Kampagne klagt, dass „noch immer zur wenige Opfer die Täter zur Verantwortung ziehen“. Als sei das nicht nur deren Aufgabe, als sei es die allfällige Lösung.

Tatsächlich werden 75 Prozent der schwerwiegendsten Übergriffe, Mord inklusive, von den Männern verübt, nachdem die Frau gegangen ist. Oder während sie Pläne schmiedet, zu gehen, und der Partner Wind davon bekommt. Und Wind von den Plänen ihrer Partnerin bekommen gewalttätige Männer oft. Nahezu immer. Sie sind ausgezeichnet darin, Witterung aufzunehmen. Das müssen sie sein. Ihre Macht, das Maß der Kontrolle, das sie über ihre Partnerin haben, hängt davon ab.

Wehe der Frau, die sich ihrer Kontrolle entziehen will! Oder, fürs Erste, entzogen hat. Es ist ein auch von Experten oft wiederholter Irrsinn, dass die Frauen es in der Hand haben, die Gewalt gegen sie zu beenden, indem sie gehen. Oft wissen die Frauen es besser. Oft ist Bleiben nicht Ausdruck ihrer Hilflosigkeit. Oder von „Masochismus“. Es ist der verzweifelte Versuch, in einer weitgehend machtlosen Situation wenigstens ein Mindestmaß an Kontrolle zu haben.

Das Problem sind nicht die Frauen, die „sich misshandeln lassen“. Das Problem sind die Männer, die sie misshandeln. Warum? Was veranlasst Millionen deutscher Männer dazu, zu glauben, dass sie das Recht, wenn nicht gar die Pflicht haben, ihre Partnerin so oder anders zu kontrollieren? Macht über sie auszuüben? Und, sollte sie sich dieser Kontrolle entziehen, „notfalls“ zu ermorden? – Wer eine Antwort auf das Problem „Häusliche Gewalt“ finden will, muss die richtigen Fragen stellen.

Antje Joel schreibt regelmäßig für FR7 – und bereitet derzeit im britischen Worcester ihre Masterarbeit zum Thema „Understanding Domestic Violence and Sexual Assault“ vor.

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