Mit der Unterzeichnung der Istanbul-Konvention im Jahr 2017 hat sich auch Deutschland dazu verpflichtet, Frauen vor Gewalt durch den Partner zu schützen und häusliche Gewalt zu bekämpfen. In Deutschland ist 2018 laut BKA jede Stunde eine Frau Opfer einer Körperverletzung durch Partner geworden. Die Arbeit mit Tätern ist ein Ansatz, diese Gewalt zu bekämpfen. Gerhard Hafner macht sie seit über 20 Jahren. Der Diplompsychologe und sein Team bieten Beratung und ein sechsmonatiges Verhaltenstraining für gewalttätige Männer an, die sich ändern möchten. Getragen wird das Projekt von der Volkssolidarität Berlin.

ZEIT ONLINE: Herr Hafner, Sie beraten Männer, die ein Problem mit Gewalt haben. Wer kommt zu Ihnen?

Gerhard Hafner: Die meisten kommen, weil Behörden es ihnen nahelegen. Ein Drittel wird von den Jugendämtern und Familiengerichten zu uns geschickt, ein weiteres Drittel von der Amtsanwaltschaft oder den Justizvollzugsanstalten. Und ein Drittel kommt als Selbstmelder. Das heißt in der Regel aber, dass ihre Frauen sie schicken, im Sinne von: Geh in den Kurs, sonst trenne ich mich. Letztens hatte ich einen 19-Jährigen hier, der kam, weil seine Mutter es wollte.

Die soziale Umgebung übt Druck auf die Männer aus. Und wenn es nicht die erste Trennung des Mannes ist, sondern vielleicht schon die dritte ansteht, dann überlegt er sich schon, ob die Probleme vielleicht auch an ihm liegen könnten. Wenn ein Kind dabei ist, ist seine Motivation noch mal größer.

ZEIT ONLINE: Wie läuft das erste Gespräch dann ab?

Hafner: Einige wenige sagen uns ganz offen, dass sie eigentlich nur einen Beratungsschein wollen, als Beleg für das Jugendamt oder ein Gericht. Manche sitzen auch hier und sagen: Meine Frau ist das eigentliche Problem, wenn die mich nur nicht immer so provozieren würde. Die Selbstmelder kommen in der Regel mit dem Verständnis, dass ihr Verhalten nicht okay gewesen ist. Trotzdem versuchen am Anfang die meisten, sich zu verteidigen. Sie brauchen aber eine gewisse Schuldeinsicht. Wir laden die Männer erst dann in einen Antigewaltkurs ein, wenn wir überzeugt sind, dass sie selbst die Motivation entwickeln können, sich zu verändern.

ZEIT ONLINE: Wie viele Männer berät die Volkssolidarität in Berlin?

Hafner: 2018 kamen 327 Männer zu uns in die Beratung. Aber die Polizei registriert jährlich allein für Berlin rund 14.000 Fälle von häuslicher Gewalt. Wir sind in der Stadt das einzige Programm, das sich auf die Behandlung von Tätern bei häuslicher Gewalt spezialisiert hat. Unser Team besteht aus drei Fachkräften. Das ist im Moment einfach viel zu wenig.

ZEIT ONLINE: Wie läuft ein Kurs bei Ihnen ab?

Hafner: Wir sitzen zu zweit, immer eine Frau und ein Mann, mit den Männern im Kreis. Sie stellen sich vor und erzählen, was sie zu uns geführt hat, wie sie leben, ob sie Kinder haben oder nicht. Dann sagen sie, was sie bei uns lernen möchten. 

Das Wichtigste in der ersten Stunde ist, dass sie sich öffnen. Es ist nicht selbstverständlich, dass man sich zu so etwas wie Gewalt in der Partnerschaft in einer Gruppe bekennt, und am Anfang schämen sich alle. Dann realisieren sie, dass sie mit ihrem Problem nicht allein sind und dass die anderen ganz normale Männer sind, wie sie selbst. Und das Lernen am Verhalten der anderen ist in der Gruppe sehr effektiv.

ZEIT ONLINE: Was genau unterscheidet häusliche Gewalt von anderen Gewaltformen?

Hafner: Täter und Opfer leben zusammen, und das oftmals über viele Jahre. Das ist, als teile man eine Gefängniszelle mit einem, vor dem man Angst hat. Am Schlimmsten ist für viele die Ungewissheit: Wann wird wieder etwas passieren? Denn diese Männer sind ja nicht durchgehend gewalttätig, sondern nur gelegentlich. Aber genau das macht gerade die Kinder mürbe: Papa ist ja eigentlich ein ganz Lieber, nur manchmal, man weiß nicht ganz genau wann, wird er zum Monster. Das zerstört das Vertrauen in der Familie.

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Außerdem verläuft häusliche Gewalt wie in einer Spirale. Sie wiederholt sich immer wieder und wird von Mal zu Mal schlimmer. Wir müssen uns jeden Fall einzeln anschauen, wie mit einem Vergrößerungsglas, ihn rekonstruieren und schauen, an welcher Stelle die Spirale unterbrochen werden kann. Und häusliche Gewalt muss nicht physische Gewalt sein, sie kann auch psychisch ausgeübt werden, also durch abwertende Bemerkungen, Beleidigungen, Kontrolle und Einschränkungen.

ZEIT ONLINE: Wie vermitteln Sie das Ihren Teilnehmern?

Hafner: Ein Teil des Programms widmet sich der Frage, was Gewalt überhaupt ist. Es gibt Untersuchungen, die zeigen, dass Männer anfangen zu kontrollieren, wenn sie aufhören zu schlagen. Wir achten während des Trainings darauf, dass das nicht passiert. Deshalb ist es für uns ganz wichtig, mit den Partnerinnen der Männer in Kontakt zu stehen. Täterarbeit findet niemals isoliert statt, sondern im Verbund mit Jugendämtern, Gerichten und Frauenberatungsstellen.